Junkshit aus der Industriehölle (5)

Der Zeitraum zwischen Weihnachten und Neujahr ist der angenehmste, den die Stadt zu bieten hat. Die Hälfte der Einwohner Berlins befindet sich irgendwo nur nicht hier, der Rest klebt auf der Couch fest, es gibt Parkplätze in Massen, mein Fitnessstudio ist komplett leer und niemand kauft mehr irgendwas ein, weil alle bis zum Zäpfchen satt sind und der Kühlschrank vor Resten fast platzt.

Ich habe dieses Jahr zu Weihnachten eine Essigkollektion vom Schnöselkönig Oil & Vinegar geschenkt bekommen und frage mich nun, ob die Verwandtschaft hier mitliest und sich zusammengetan hat, um mich zu ärgern. Zum unvermeidlichen Geburtstag nächstes Jahr gibt es dann einen Monatsvorrat Tofu und einen indischen Pullover von Chapati in kotzegrün-kackbraun. Wir Prenzlauer Berger mögen das.

Egal. Viel wichtiger als Weihnachten ist: Es gibt neuen Unsinn zu kaufen.

Nic Nacs. Cheese & Onion. Und natürlich etikettiert als Special Edition. Neu. Nur für kurze Zeit. So lange der Vorrat … und so weiter, das volle Programm. Sie kennen das.

Natürlich kaufe ich es. Ich kaufe alles. Verknappen Sie ganz einfach künstlich Ihr Produkt, wenn Sie wollen, dass ich es kaufe. Machen Sie mir Angst, dass es morgen schon nicht mehr da sein wird. Oder sorgen Sie dafür, dass ich mir beim Kauf als etwas ganz Besonderes vorkomme, Special sozusagen. Special Edition. Die Seelenmassage des kleinen Mannes. Einmal was Besonderes sein, was Besonderes kaufen, keinen Rioja Gran Reserva, keinen Glen Els aus dem Madeirafass, keinen Barolo von Lidl, nein, nur einmal Nic Nacs Cheese & Onion und fröhlich sein. Cheese.

Die Realität ist jedoch wieder einmal wie eine rechte Gerade in meine Fresse, der Kiefer bricht, ich beiße mir die Zungenspitze ab und ein paar Zähne fallen in den Abfluss des Waschbeckens, gegen das mein Schädel prallt, bevor ich ohnmächtig werde.

Denn als ich die Packung aufmache, strömt er mir entgegen, dieser unvergleichliche Laborgeruch nach Aromat, hier gekoppelt mit alter Laufsocke, die in jedem durchschnittlichen Labor für Käsegeschmack gehalten wird.

Wahrscheinlich sind es die gleichen Typen, die diesen üblen fertig geriebenen Sandkörnerparmesan aus dem Streuer erfunden haben, den sie in den billigen Döner/Pizza-Kombibutzen auf die fürchterliche Pizza Funghi oder die zum Töten schlechte Bolognese hauen und den ich nicht runter bekomme ohne mir eine Klempnersprirale in den Hals drehen zu wollen, damit ich es endlich hinter mir habe. Verbrecher. Der Grind unter den Zehennägeln der Sprittis vor dem Balzac in der Schönhauser Allee schmeckt besser als diese stinkende Unsitte von Laborstreu, jede Wette.

Mopf Mopf. Gnarf Gnarf. Es ist herrlich. Das komplette Gegenteil von Natur. Der abstoßende Geruch paart sich mit abstoßender Haptik. Doublekill. Meine Finger kleben bereits nach wenigen Sekunden, als der Film des Aromapulvers die Kuppen bedeckt wie Schnee. Ich fühle die Neonröhre, unter der diese Zumutung zusammengerührt wurde, sauge das Mark der Gummihandschuhe in mich ein, mit denen sie abgeschmeckt wurde, hier noch eine Prise Calciumlactat und dort noch ein Schuss Maltodextrin und ach … das bisschen Glutamat. Hat jemand den Kanister Phosphorsäure gesehen? Ich will baden gehen.

Die Dinger sehen dazu noch unwirklich toxisch aus, gelb, klar, Cheese, aber irgendwie nicht lebenserhaltend, eher als würden sie sich nach dem Runterschlucken in der Magenwand einnisten, um Eier zu legen. Alien IV – das Grauen wächst in mir. In fahlem Gelb-Grün. Bald schon wandern die Eier durch meine Blutbahn direkt unter die Haut und werfen dort Blasen, die dann aufplatzen und neue Nic Nacs Cheese & Onion in die Welt gebären, die dann wiederum von anderen Hirnkranken gegessen werden, nur um dann unter der nächsten Haut neue Blasen zu werfen … ein Kreislauf wabernden Wahnsinns.

Gelb-Grün. Meine Güte. Wären die Dinger ein Mensch, würde ich sie zum Arzt schicken. Oder zum Abdecker. Bräuchte Ebola ein Testimonial, hätte ich da einen Vorschlag.

Crunch. Und Gulp. War ja klar. Das Zeug schmeckt noch schlimmer als es riecht. Zur alten Laufsocke gesellen sich nun noch ein wenig Moschus, ein ganz leichter Hauch Kantinencarbonara von letzter Woche und ganz viel vor Jahren schon abgelaufene Tamarindenpaste. Korrespondierend dazu verbreitet sich im Mund ein eigenartig künstlicher und irritierend hartnäckiger Knoblauchgeschmack, was wohl auf das Zwiebelpulver gepaart mit dem Glutamat zurückzuführen ist. Knoblauch kann es nicht sein, denn auf der Packung steht, dass keiner drin ist.

Die Rückstände des fiesen Aromas, über dessen inexistenten aber doch vorhandenen Knoblauch ich mich weigere zu wundern, lassen sich mit normalen Flüssigkeiten nur unbefriedigend aus der Mundhöhle entfernen, es bleibt ein muffig-brackiger Nachhall zurück, der gerade beim Aufstoßen unangenehm in Erinnerung ruft, mit welch wertloser Nahrung man sich gerade selbst gegeißelt hat. Es empfiehlt sich Cola. Chemie schlägt Chemie. Saubere Sache. Wer keine Cola mag, muss Terpentin nehmen. Oder Batteriesäure, keine Ahnung. Viel mehr hilft wohl nicht. Außer Aussitzen und auf morgen warten, wenn die Reste der Weihnachtsgans im Verein mit den Pfanni-Chemieknödeln den ganzen Ranz in den Darm spülen, in den er hoffentlich kein Loch reißen wird.

Doch auch äußerlich bleiben unangenehme Nachwirkungen dieses vorsätzlichen Nahrungsmittelmissbrauchs nicht aus, denn das Pulver hängt hartnäckig wie Lack an den befeuchteten Fingerkuppen fest und stinkt noch Stunden später vor sich hin als hätte man sich gerade in der Kimme gekratzt (Arsch nicht richtig abgewischt, Rosette juckt, Hämorrhoiden, Unterhose klebt an den Arschhaaren fest, Sie kennen das).

Wasser mit Seife als fast unschlagbares Hausmittel hilft gegen derart stinkende Finger leider nur kurz, denn der Ghul kehrt bald schon als geruchsmutiertes Mahnmal zurück und modert froh und munter weiter, denn das Zeug hat sich tief eingefressen in die Haut und erinnert Sie noch Stunden später an das, was Sie niemals hätten tun sollen: Diesen Scheiß essen.

Daher ergeht folgender unbezahlbarer Tipp, wenn Sie es schon nicht lassen können, diesen Müll tatsächlich zu probieren: Nicht anfassen. Schneiden Sie ein Loch in die Packung und schütten Sie sich das Zeug direkt in den Mund. Oder nehmen Sie eine Grillzange. Stäbchen. Einen profanen Löffel. Gummihandschuhe, wenn Sie Laborant sind. Nochmal: Nicht anfassen.

Und wenn Sie richtig klug sind, dann schmeißen Sie den Scheiß einfach weg und leben ein paar Tage länger als die, die ihn fressen.


Junkshit aus der Industriehölle (4)