Zucker und Fett in Potemkins Kiez

I’m just as fucked up as they say
I can’t fake the daytime

Found an entrance to escape into the dark
Metric – Artificial Nocturne

Vormittags in Schnösel City. Wenn Sie nicht ab und zu mal mit den Soziopathen der Entscheiderebene aus dem Borgwürfel essen gehen, Geburtstag feiern oder in der Teeküche auf eine Tasse widerlichsten Automatenkaffee zusammenstehen und schier unerträgliche Nichtigkeiten in die abgestandene Luft blasen, separieren Sie sich zuverlässig aus der Zweck-/Not-/Blut-/Schweiß- und Elendsgemeinschaft der Arbeitsstätte, die krampfhaft versucht so zu tun, als würden sich alle mögen, um die Tatsache zu verschleiern, dass alle miteinander bis aufs Messer konkurrieren und sich dieses Messer gern mit einem Ursula-von-der-Leyen-Jokergrinsen gegenseitig von hinten zwischen die Rippen rammen. Es ist eine Illusion von Team – aufrechterhalten vom Kontoauszug und dem Gerippe althergebrachter Konventionen.

Und es ist ein Balanceakt. Sie müssen versuchen, auf der Dorfkirmes der blasierten Eitelkeiten Ihre Würde zu behalten ohne in den Augen derer, die Sie beäugen, bewerten und auf einen Fehler warten, wie ein unsicherer Kantonist zu wirken, der das Spiel durchschaut hat und es boykottiert. Denn boykottieren geht nicht. Dann sind Sie raus. Und wer raus ist, den frisst die Meute. Und ewig grüßt München. Oder Frankfurt. Oder das Jobcenter. Was? Wirklich? Sie hören Ende des Monats auf? Oh, das ist aber schade.

Weint das Krokodil dann. Und freut sich auf die Nachfolge.

Daher gilt: Spielen Sie mit. Spielen Sie besser. Und dazu gehört leider auch diese elende Kuchenfresserei zu Jubiläen, Hochzeiten, Karrieresprüngen oder Geburten neuer Bratzen im Haushalt irgendeines Vorstands und das freudestrahlende Gratulieren zu irgendeinem Umstand, der Sie in Wirklichkeit kein Stück interessiert.

Diese Networking genannte Heuchelolympiade, die Loriot zu Tränen gerührt hätte, führt gelegentlich auch zu gemeinsamen Besuchen in seltsamen Cafés.

Und zum Essen von Cupcakes.

Cupcakes.

Ja, Zucker und Fett, natürlich ist das Zucker und Fett, das sind Cupcakes. Menschen wie die prenzlauerbergesken Brokkoligesichter, die heute neben mir sitzen und sich hier in diesem Cupcake-Laden über Zucker und Fett aufregen, sind die gleichen, die in einen Schnitzelladen gehen und sich beschweren, dass es dort nichts vegetarisches gibt. Wahrscheinlich gehen die auch in einen Puff und beschweren sich, dass sie dort auf Titten schauen müssen. Und gehen direkt danach in eine Gay-Bar und beschweren sich, dass es dort keine Titten sondern nur Schwänze gibt. Ein Irrenhaus. Und heute ist wieder Freigang. Nur ohne die Patientenbetreuer mit der schicken Jacke mit den Schnallen.

Cupcakes. Irgendwer feiert irgendwas, das ich schon zwei Sekunden nach der Ankündigung im unsäglichen Mailverteiler „Borgwürfel Europa Nordost“ vergessen habe, aber zu dem ich trotzdem formvollendet gratulieren werde. Also geht es nach dem Meeting direkt in den Simon-Dach-Kiez. My favourite. Überall schon mittags vom billigen Wodka besoffene Kinder mit lächerlichen Dschihadbärtchen aus dem Westen und Süden des Kontinents, die diese Gegend hier für das echte Berlin halten, dabei sind sie streng genommen zuhause. Unter sich. Oder in Disneyland. Einem potemkinschen Dorf. Simon-Dach-Kiez eben. This is not real.

Diese Diabeteskandidaten von Kaffeetratschen aus dem Borgwürfel, deren Lästermäuler ein physikalisches Wunder sind, weil sie selbst während des Essens keine Sekunde damit aufhören können, stakkatoartige Wortlawinen mit schmerzhafter Betonung auf dem Satzende in den wundgequasselten Raum zu ejakulieren, holen sich monatlich eine Ladung Herzkranzverengung aus einem dieser superhippen Cupcakeläden – im Wechsel mit kunterbunten Dunkin Donuts und der Mousse-au-Chocolate-Torte aus der Kühltruhe von Kaisers.

Ich nicht. Ganz selten esse ich das und auch nur, wenn ich muss, dann ess‘ ich so einen fiesen Cupcake, der mich völlig aus der Bahn wirft, denn er besteht natürlich aus: Fett und Zucker, was mich hernach für Stunden aufdreht wie ein Duracell-Häschen auf Speed, das immer wieder mit klappernden Zimbeln gegen eine Wand läuft, auf die Fresse fliegt, wieder aufsteht, nur um wieder mit den Zimbeln gegen die Wand zu laufen. Energieoverload. Tilt Tilt. Fett und Zucker. Und irgendwelche Färbemittel. Nein, kein Bio, keine besungenen Löwenzahnblätter und auch keine von gehandicapten Waldorfschülern mit den Füßen gerollten Malzkekse mit handgepresstem Sellerieöl. Nein, auch kein Dinkel. Hafer auch nicht. Nein. Hier nicht. Bitte gehen Sie weiter. Hier nur Zucker. Mit Fett.

Und natürlich sauf‘ ich fritz-limo dazu, wenn dann richtig, denn hier gibt es die gesamte Hipsterpalette, irgendwelche handgerührten Limonaden mit komischen 60er-Jahre-Namen, BioZischZeug und natürlich Tote-Piratenpartei-Mate-Gesöff in mehreren absurden Variationen.

Cupcakes. Hängengebliebene Studenten verkaufen fiese Antinahrung, bei deren Anblick sich jeder Zahnarzt sofort die Pulsadern aufschneiden würde und die sich sofort an Hüfte, Wampe, Truthahnkinn oder Oberschenkeln anhaftet wie ein verloren gegangenes Stück Metall an einen T 1000. Geht nie wieder ab sowas.

Festgetackert an der Hüfte
Aus der Form, vom Fett gebannt.
Heute muss die Wampe wachsen.
Frisch Gesellen, seid zur Hand.

Ja, heute Lyrik gefrühstückt, Gedicht am Freitag, das war der Cupcake, der macht übermütig, einer, einer nur, weil zwei von den Teilen zu Dingen führen, die ich nicht haben will: Schweißausbruch, Hypertonie, sofortige Arterienverengung, Herzstillstand, Exitus, Organentnahme, Krematorium. Natürlich. So viel Zucker kann kein Organismus verarbeiten (okay, gut, außer der meines Kindes vielleicht).

Wop Wop. Bis bald wieder. Irgendwer feiert dann wieder irgendwas, das niemanden juckt, und dann gibt es Kuchen. Oder Cupcakes. Hurra.