Ach hört doch endlich auf

Die Hofpresse frohlockt: Unsere Regentin bezirzt die Australier. Mit Selfies vor irgendwelchen Pubs. Ganz volksnah. Und die Twitterwelt steht Kopf. Gott, ist die süß.

So.

Liebe Politblogger.

Wenn ihr es bisher noch nicht wusstet, wisst ihr’s jetzt: Das war’s.

Gebt auf.

Streckt die Waffen. Ihr habt keine Chance. Ihr habt nicht nur verloren, ihr seid gedemütigt. Denn sie ist beliebter als je zuvor. Mit Selfies geht das gut. Und vor allem schnell.

Was habt ihr denn zu bieten? Jeden dritten Tag einen regierungskritischen Text. Viel Fleiß. Viel Herzblut. Und viel Mut zur Verzweiflung. Linklisten könnt ihr auch. Liebevoll kuratiert. Geschliffen kommentiert. Wieder viel Fleiß. Wow. Was noch? Interviews. Marginalisierte interviewen andere Marginalisierte, was wieder andere Marginalisierte nicht gut finden. Und in der Verzweiflung werden alte Fronten über Bord geworfen mit der Hoffnung, dass das was bringt. Man rückt zusammen und macht sonst das, was man immer macht. Fleißig. Wortgewaltig. Meistens klug. Und doch ohne Chance.

Andere stehen auf Bühnen. Volker Pispers ist einer von ihnen. Seit ungefähr 250 Jahren steht er da und wettert. Mit Fakten. Mit Zahlen. Mit Verstand. Mit Verve. Mit Eloquenz. Und doch mit einer nicht mehr zu überhörenden Verzweiflung je älter und dicker er wird.

Im Publikum sitzen die alten Pädagogen. Er Englisch und Geschichte. Sie Deutsch und Bio. Bildende Kunst als Wahlfach. Er spielt nur noch selten Klavier. Der Arthritis wegen. Seit 40 Jahren sitzen die da. Seit Brandt. Oder seit Reichskanzler Max von Baden. Früher ging es gegen Birne. Immer gegen Birne. Wie der spricht. Hahaha. Was der macht. Hohoho. Dann kam der Autokanzler. Mit dem haben sie sich schwer getan, weil er kam ja aus ihrer Mitte, von der richtigen Seite, auch wenn er das Gegenteil aller Erwartungen gemacht und ihnen damit sehr weh getan hat. Doch das fällt den Pädagogen immer noch schwer zu kritisieren, denn wenn sie das tun, machen sie sich mit der Stasi-Partei gemein, die den Biermann nicht mag. Und das geht gar nicht.

Seit der bleiernen Merkel lacht es sich wieder befreiter. 29,50 Euro für die Loge bei den Wühlmäusen am Theo. Hahaha. Die Merkel. Wie die kuckt. Hohoho. Was die macht. Und danach ziehen sie sich ihre Mäntel an und laufen an den Obdachlosen draußen vorbei, die da immer am zugigen Theo sitzen und auf ihrer verfilzten Steppdecke ein ganz hässlicher Spiegel für alle in ihrer kuscheligen Nische Angekommenen sind.

Meine Güte, ist die süß. Ich kriege gar nicht genug.

Bitte. Hört doch endlich auf. Es bringt nichts. Ihr seid nicht nur dezimiert, ihr seid marginalisiert, euer Tun ergibt keinen Sinn mehr. Einmal in der Kabine der Nationalmannschaft den Höwedes geknuddelt und die Werte in den Umfragen steigen von 45 auf 48% bei denen, die überhaupt noch wählen gehen. Kabine. Das bringt die Punkte. Unser Poldi. Uns Müller. Diese Jungs, diese tollen Jungs. Was? Die interessiert sich gar nicht für Fußball, sondern tut nur so als ob? Echt? Mach Sachen. Wow. Hut ab. Das weiß jedes Kind, aber es stört nicht. Wichtig ist das Bild, wichtig ist immer das Bild. Und die Bilder kommen am laufenden Band. Auf allen Kanälen, mit denen man Mehrheiten schafft. Das ist kein Zufall, es soll nur so aussehen wie einer.

Gebt auf. Ein Selfie mit irgendeinem besoffenen Honk vor irgendeinem Pub in einem Land am Arsch der Welt und es gibt wieder 3% obendrauf. Beliebt bei 80% der Deutschen. 85%. 90%. Was kost‘ die Welt? Jemand noch eine Umfrage parat? 92% der befragten Australier möchten sie als Schwiegermutter haben. Inhalte? Sicher gibt es keine Inhalte, zumindest keine, die Sie mitbekommen, Null, nüschte, wenn Sie nichts sagen werden Sie automatisch beliebt. Das geht ganz einfach, weil Sie damit die Projektionsfläche für die vielfältigen Wünsche werden, die Menschen so hegen. Es ist ein ganz einfaches Prinzip, fest verankert in der Küchenpsychologie. Aber es wirkt.

Wie ist die Lage, Nummer Eins?

Die Teeküchenrunde im Borgwürfel, meinem Arbeitsplatz, findet zu 90%, dass der Lokführerstreik eine bodenlose Sauerei ist und der Weselsky abgesägt gehört, damit alles wieder funktioniert. Man muss doch die Kirche im Dorf lassen bitte. Kirche im Dorf. In diesem Land muss immer die Kirche im Dorf bleiben. 80% der Teeküchenrunde finden Angela Merkel toll. Wir sind Weltmeister. Das finden 100% der Leute toll. 70 % halten die Griechen immer noch für faul, 60% die Franzosen und 80% wollen keine Flüchtlinge von irgendwo hier haben. Und überhaupt: Mehr Lohn muss sich ein Land auch leisten können. 1800 Euro netto für Lokführer reicht doch. Was machen die denn schon? Knopf drücken, im Führerhaus rumhängen, dann wieder Knopf drücken. Die Scheiß Lok fährt doch von alleine und das auch noch auf Schienen, wofür will der Wahnsinnige mehr Geld?

Die Teeküche ist der Ort, der mich erdet. Der mir zeigt was das alles bringt. Wie Energie sinnlos verpufft. Volk. Maul. Vox. Populi.

Ich weiß jetzt schon, was am Montag Thema der Teeküche sein wird. Die Selfies bei den Aussies. Boar wie süß sie ist. Kuck doch mal.

Und ich sage nichts mehr dazu. Ich habe keine Lust mehr, Opposition zu sein. Bin ich durch mit. Diese Entscheidung, nicht mehr der Stimmungsversauer zu sein und nicht mehr alles zu kommentieren, hat mich an meinem Arbeitsplatz sehr beliebt gemacht. Jeder erzählt mir alles. Ich weiß alles. Jede Leiche. Jedes Gerücht. Jede Sauerei, die irgendwo läuft. Wer mit wem? Wer redet sich wo um Kopf und Kragen? Jeder erzählt mir alles, weil ich nichts weitererzähle und nichts kommentiere, gar keine Position mehr beziehe, ich nehme einfach nur Informationen auf und lasse die Dinge laufen. Sie hören von mir nichts, keine Lästerei, keine Rufschädigung, keine Gegenrede, maximal ein Brummen, ein „Oha“ oder als Gipfel der Gefühlsregung ein „Krass“. Dazu nicke ich an den geeigneten Stellen mit dem Kopf. Und schaue weise. Ich bin der nette Onkel. Das mögen die Leute. Herrgott bewahre, nein. Ich bin keine Opposition mehr. Ich möchte so sein wie alle. Fressen. Ficken. Sterben. Ich bin der Biedermeier. Ich bin Teflon. Ich bin die Projektionsfläche. Ich will nicht mehr besser sein als alle.

Und so macht es die Regentin auch. Nur viel professioneller und so viel weiter oben.

Sie ist aber auch süß. Ich könnt‘ sie knutschen.

Teflon. Sicher. Teflon total. Das ist keine Beleidigung. Ihr kriegt sie damit nicht. Ihr kriegt sie überhaupt nicht. Sie ignoriert euch so wie ihr die Trolle ignoriert, die unter eure Texte koten. Hört also bitte einfach auf. Legt für ein paar Jahre die wortgewaltigen Waffen nieder, mit denen ihr nur die letzten Aufrechten erreicht, die sowieso schon eurer Meinung sind.

Schaut sie an. Es ist zum Auswachsen und treibt euch alle schleichend in den Wahnsinn. Sie ist so beliebt wie nie und was kostet es an sinnloser Kraft und Nerven, immer nur dagegen zu halten und trotzdem dabei zuschauen zu müssen wie sie von Selfie zu Selfie immer noch beliebter wird und sich das keiner rational erklären kann, weil es längst nicht mehr rational ist. Mit Rationalität kommt niemand mehr weiter dieser Tage. Eure so treffsicheren Argumente sind stumpf, euer Wissen nutzlos, eure Rhetorik so wohlfeil wie untauglich, eure Empörung hat sich totgelaufen im unendlichen Twittershitorm. Pudding. Wand. Nagel. Wenn es unbedingt eine abgedroschene Metapher sein soll.

Es ist eine gute Zeit, um den Hammer niederzulegen, sich zurückzulehnen und zu warten. Gebt euch hin. Lasst los. Schont die Kräfte. Werdet für ein Weilchen wie alle. Fressen. Ficken. Sterben. Wir sind Weltmeister. Das kann ganz entspannend sein. Ich weiß das.

Denn in ein paar Jahren schon wird die Situation eine andere sein. Wenn unsere Regentin (ich kann mich gar nicht sattsehen, ich glaube ich bin verliebt) müde geworden sein und Ursula von der Leyen endlich die Geschäfte übernehmen wird. Die ist kantig. Und streitbar. Und monsterunbeliebt. Die kann 5 Millionen Selfies mit besoffenen Vollidioten in den Asozialenbars von Chisibubikaio schießen, das hilft nix. Bei ihrem Grinsen gefriert jedem Menschen mit Herz das Blut in den Adern und Menschen mit Herz haben wir trotz aller Unkenrufe immer noch genug in diesem Land. 100% der Teeküche finden Ursula von der Leyen ekelhaft. Das macht doch Mut.

Also wartet auf Ursula. Schimpft nicht, wenn sie es wird, sondern freut euch. Und dann legt los. Aus allen Rohren. Mit allem was ihr habt. Plündert das komplette Arsenal. Das wird ein Kinderspiel im Vergleich zu jetzt.

Bis dahin lasst uns entspannen. Ich muss jetzt auch weg. Aufhören mit Schreiben. Lieber lesen. Glumm lesen. Candy lesen. Mal runterkommen. Knutschen und Fummeln auf Kinosesseln. Trinken. Feiern. Loslassen. Nicht mehr gegen Pudding anrennen. Locker machen für die Hölle.