Kudamm-Borgwürfel

Ich frage mich manchmal, ob ich der Einzige bin, der diese neue Architektur, die sich wie ein Krebsgeschwür durch die Toplagen der Stadt frisst, zum Wegrennen findet, denn alle Passanten laufen daran vorbei ohne sich vor Depressionen vor einen Bus zu werfen, davor zu kotzen oder sich wenigstens angewidert wegzudrehen. Vielleicht liegt es am grauen Berliner Herbsthimmel. Niemand sieht den Ghul vor lauter Tristesse. Es muss einfach so sein.

Und so etwas koten sie auf den Kudamm. Ecke Joachimsthaler. An einen historischen Ort. An einen Ort, an dem etwas anderes stehen müsste, irgendetwas Ästhetisches, etwas mit Stil, Ausstrahlung, Verspieltheit meinetwegen, nicht so ein Bunker, obwohl ein Bunker ist das gar nicht mehr, das ist ein Borgwürfel, eine Trutzburg, eine Betongeschwulst, es schüchtert ein und das soll es wahrscheinlich auch. Es schwitzt aus allen Fugen Abneigung aus: Ich biege dich, ich beuge dich. Gegen uns kommst du nicht an, also versuch’s gar nicht erst, denn schon der Versuch ist strafbar.

Der Stef ist einfach an die Ostsee gezogen und manchmal, in schwachen Momenten, in ganz schwachen Momenten, beneide ich ihn dafür. Dort an der Küste erbricht keiner abschreckende Wuchtarchitektur in den Ostseesand, einfach weil er Menschen hasst und die Mittel hat, seinen Hass in Beton zu gießen – okay, außer vielleicht die Nazis in Prora, aber das ist lange her.

Irgendwann werden sie diese ganzen fiesen Endzeitbauten sprengen, hoffe ich dann, irgendeine gutmütige Regierung wird ein Einsehen haben und feststellen, dass es an seelischer Grausamkeit grenzt, seiner Bevölkerung einen solchen Anblick zuzumuten und wird sie einfach kommentarlos abreißen.

Haha, nein, natürlich wird das nicht passieren, eher werden sie die letzten Brachen, die letzten Kriegslücken, die letzten stadtentwicklungstechnischen Möglichkeiten mit ihrem Ungeist zukoten. Also bleibt nur Notwehr. Memo: Sollte es tatsächlich irgendwann einmal vorkommen, dass ich besoffen den Kudamm entlang laufe (da sind wir schon beim Problem: Ich wüsste gar nicht mehr wo ich hier was saufen gehen sollte), dann knall‘ ich mir noch ’ne Flasche Pfeffi auf Ex hinter und kotze den kurz davor verdrückten prekären Döner an das Ding. Direkt vor den Eingang. Einfach um mich zu spüren.