
Deso Dogg ist bald tot. Monate. Vielleicht noch ein Jahr. Dann wird er tot sein. Zusammen mit seinem Kalifen. Wait for it.
Willkommen in meiner Welt hat er mal gerappt.
Willkommen in meiner Welt voll Hass und Blut. Ich schreibe Zeilen für meine Kinder und das mit Blut. (…) Ich bin verzweifelt jeden Tag auf der Suche nach dem Paradies. Ich wünschte mir den Tod, denn mein Leben war mies.
Das muss Mitte der Nullerjahre gewesen sein. Ich hatte damals noch die Juice abonniert, da war der Track auf irgendeiner der Juice Exclusive-Scheibe drauf, die sie immer dem bedruckten Papier beigelegt haben. Gerippt und ab ins Auto damit. Gangsterrap war damals zwar schon am Abflauen, nachdem Bushido das Game so gründlich gefickt hatte, dass es keiner mehr ernst nahm, doch einige waren gut, richtig gut und ich höre sie bis heute. Tone zum Beispiel, der trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten nie den Durchbruch geschafft hat. Tone ist feinster Battlerap, geschliffen und eloquent, der eine Kunst offenbart, auf deren Niveau sie nur wenige in dem Metier beherrschen.
Deso Dogg dagegen war plump. Nette Skills, aber textlich schwach, das Deutsch zu schlecht, aber immerhin authentisch. Die Juice-CD habe ich gerippt und ab und zu hat der Shuffler den Track in die Bassrolle geblasen.
Die Bezüge im Track zu seiner Religion sind mir damals gar nicht so aufgefallen. Bei Tone habe ich auf den Text geachtet, bei Deso Dogg war eher Durchzug bei Tempo 200 auf der Autobahn Hannover-Berlin. Als der Shuffler irgendwann heiß lief und kaputt ging, habe ich mir den Track nicht noch einmal gezogen. Ausmisten muss manchmal sein.
Irgendwann tauchte Deso Dogg in der Sendung Wild Germany auf, eine hochklassige Sendung übrigens, mit der das passiert ist, was meistens im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit hochklassigen Sendungen passiert: Sie wird in einem der unzähligen Spartenkanäle versenkt, hier konkret bei ZDFNeo. In der Sendung (ab Minute 20:42) redet Deso Dogg furchtbar wirres Zeug, von wegen Ausstieg und wie die Musik ihn kaputt gemacht hat. Eine Art Erweckung scheint ihn ergriffen zu haben. Okay, abgehakt, dachte ich da, Spinner, armer Irrer. Kaputte Seele. Berlin macht das manchmal aus Menschen. So weit so normal. Fahren Sie mal S-Bahn. Sie treffen jeden Tag durchgeknallte Deso Doggs, die irgendetwas Wirres erzählen.
Irgendwann stand auf irgendeinem Online-Portal, dass Deso Dogg ein hochrangiger Funktionär des Islamischen Staates geworden ist. Wait what? Deso Dogg? Der durchgeknallte Gangsterrapper vom Kotti? Glaub‘ ich nicht. Kann nicht sein. Oder?
Ich habe mir Videos angeschaut. Deso Dogg beim Predigen. Beim Singen. Vor der Flagge des Kalifats. Stimmt. Der hatte mittlerweile einen Haftbefehl wegen akutem Salafismus an der Backe und ist erst mal stiften gegangen. In den sich formierenden Islamischen Staat.
Als die Dschihadisten von ar-Rakka aus Mossul überrannt haben, habe ich mehr über diesen Spuk gelesen. Was ist der Islamische Staat? Was machen die da? Und wenn Sie anfangen zu recherchieren, landen Sie ganz schnell bei den Propagandavideos. Die finden Sie ganz offen bei YouTube und ich werde einen Teufel tun, das Zeug hier zu verlinken. Suchen Sie selbst. Geht ganz einfach.
Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch die grausamen Videos recherchieren, von denen alle reden. Sie wollen sie sehen? Gar kein Problem. Darf es eine Enthauptung sein? Liveleak ist dein Freund und die richtigen Suchbegriffe auf Englisch finden Sie sicher auch noch. Wollen Sie nicht sehen? Ja, komisch, wollen viele nicht sehen, aber das ist alles frei im Netz. Problemlos zu finden. Wenn ich es schaffe, schafft es jeder Jugendliche erst recht. Moment, was ist das? Schauen Sie mal, da liegt ein irakischer Soldat auf dem Boden, zwei Menschen knien auf ihm, sie halten seinen Kopf fest, er drückt das Kinn auf die Brust, weil er weiß was kommt, zwei Männer drücken das Kinn nach oben, dann kommt das Messer, das geht schwer, so eine Kehle ist ganz schön zäh, sie drehen am Kopf, es knackt, sie schneiden von der anderen Seite, zerren, reißen, dann drehen sie den Kopf um 360 Grad, das geht irritierend einfach, sie drehen nochmal, nochmal und dann ist er ab.
Das Video endet mit einem irakischen Soldaten in einer riesigen Blutlache, dessen Kopf auf seinem Bauch platziert wird.
Schlimm, nicht wahr?
Deso Dogg spielt auch in solchen Videos mit. Bei Liveleak finden Sie das Ergebnis eines Überfalls auf ein Ölfeld. Es liegen eine Menge Leichen herum und die Kamera hält voll drauf. Halbe Gesichter, Headshot, rausquillendes Gehirn, ein überfahrener Torso, fehlende Beine, Gedärme. Und mittendrin schwenkt die Kamera kurz auf Deso Dogg, wie er auf den Kopf einer Leiche einschlägt.
Schlimm, nicht wahr?
Was schreibt man dazu als Blogger? Nicht viel offenbar. Es herrscht weitgehende Sprachlosigkeit angesichts der unverbrämten Gewalt, die nichts anderes als Gewalt sein will und das auch ganz offen sagt. Was schreibt man da, wenn man wie jeder vernünftige Mensch den Kriegsdienst verweigert hat? Wie wär’s mit dem da: Hier hilft kein Appeasement, hier marschiert die Gewalt und sie hackt Köpfe ab. Man muss sie bekämpfen. Mit Gewalt.
Das sagt keiner gern, nicht wahr? Und schreiben mag es auch so recht keiner. Deswegen ist es auch so still in der ansonsten so lauten Blogosphäre, die zu jedem runtergefallenen Wurstbrot einen Spritzer Senf am Start hat. Als ein Art absurdem Stellvertreterkrieg schlagen sie lieber zum Gaza-Konflikt auf sich ein. Reihenweise. Wie entfesselt. Schimpfen sich Antisemiten. Faschisten. Terroristen. Kindermörder. Quer durch alle Blogs und in die Kommentarspalten der großen Portale hinein. Weil das so schön einfach ist, weil da die Rollen verteilt sind wie man sie seit 50 Jahren kennt. Liebgewonnene Routine. Alles eine Frage der Sympathie. In welchem Team spielst du? Israel? Palästinenser? Komm, lass uns spielen. Gewinnen kann keiner, aber wir wissen, wer wo steht.
Zum Thema Kopfabschneider vom Islamischen Staat kommt hingegen wenig. Klar, da weiß man nicht, wie man sich positionieren soll, weil es an der Urfrage kratzt: Wie begegne ich dem puren Bösen? Das pure Böse kennen die meisten Blogger wahrscheinlich noch im Kleinen vom Freibad, als der hohe wie breite Klassenschläger sie wieder aus purem Sadismus heraus vor Publikum gequält hat. Was macht man da? Abhauen, Hände vors Gesicht oder – na klar! – den großen Bruder rufen, wenn man einen hat. Und der macht den Klassenschläger weg. Boom, voll aufs Maul. Anders geht es nicht, wenn kein Bademeister mit Autorität zur Hand ist, der Recht durchsetzt. Boom. Der Klassenschläger versteht nämlich keine Argumente, keine Vernunft, kein Appeasement, der Klassenschläger versteht nur Klassenkeile.
Der Islamische Staat ist so ein Klassenschläger, der Unschuldige terrorisiert. Irgendwer muss den weg machen, jemand mit dicken Muskeln und noch dickeren Waffen. Sicher, das sagt keiner gerne und deswegen schreibt es auch keiner, weil jeder von Grund auf Pazifist ist und Gewalt prinzipiell ablehnt. Und ehe man eingesteht, dass das nicht immer geht, was man als Position so bequem in seiner Nische lebt, bleibt man lieber still und sitzt das aus, bis irgendwer irgendwen ruft, der die Gewalt mit Gewalt ausradiert, weil es irgendwer tun muss.
Sagen Sie also schon einmal ‚Ruhe in Frieden‘ zu Deso Dogg, denn er sucht den Tod und er wird ihn bekommen. Dieses Gebilde, an das er glaubt, wird nicht lange überleben, das kann es nicht. Denn es hat nicht weniger als die Welt gegen sich: Die USA, die Türkei, Israel, den Iran – eine seltsame, aber durchaus potente Koalition, zu der es offenbar diesen gemeinsamen Gegner gebraucht hat. Vielleicht werden sie noch einige Dörfer für den Islamischen Staat erobern, nochmal ein paar Flaggen hissen, vielleicht auch noch einmal in einer größeren Stadt, aber über eher kurz als lang werden sie sich überdehnt haben und dann wird es schnell zu Ende gehen. Achtung, jetzt kommt ein Hitlervergleich: Zu viele Gegner, zu viel Landmasse, zu viele eigene Tote. Das wird nicht gut gehen. Geht es nie.
Im Moment existiert eine Luftbrücke zu den eingeschlossenen Jesiden im Sinjar-Gebirge. In dem verlinkten Video wird das Ausmaß der menschlichen Tragöde deutlich, die der Islamische Staat unter jenen verursacht, die für Teufelsanbeter gehalten werden. Schnürt es Ihnen auch den Hals zu, wenn Sie das sehen? Wie geht man damit um? Diskutieren? Ausblenden? Mit Blumen werfen? Wird nicht funktionieren.
Und wenn wir schon bei krassen Bildern sind: Gleichzeitig fährt ein verrückter Journalist in den Islamischen Staat und berichtet quasi embedded aus dem Allerheiligsten, was ihm prompt von denen, die sich das nicht getraut haben, den Vorwurf der Propaganda einbringt:
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Ehrlich, das ist mutiger als mutig, das ist schon geisteskrank, als Journalist in dieses bizarre Gebilde zu gehen, um von innen zu berichten. Aber extrem cool. Hut ab. Was haben die Sesselfurzer von Zeit und Süddeutsche, die diese Reportage in den letzten Tagen in ihrer unglaublichen Arroganz abgekanzelt haben, erwartet? Kritische Fragen an die Kopfabschneider? Eine Diskussion über Humanismus? Ab auf die stille Treppe?
Wenn die letzten Jesiden gerettet sein werden, wird es zu einer Gegenoffensive kommen, die das Ende dieses Islamischen Staates einläuten wird. Was danach kommen wird, ist nicht abzusehen. Ein unabhängiges Kurdistan, eine Art sunnitischer Staat dazu, keiner weiß das und ich erst recht nicht.
Doch eines weiß ich: Das Ende des Islamischen Staates wird auch das Ende von Deso Dogg sein. Dann hat er endlich, was er will. Den Tod.
Wollen Sie einen Blogger lesen, der qualifiziert wie wenige vom Geschehen berichtet? Lesen Sie Enno Lenze. Lohnt sich.