Hipsterstall killed the Videostore

Quengel.

Nein.

Quengel.

Nein.

Ich will Kakao!

Nein.

Quengel.

Nein.

Ich will aber Kakao!

Ja, ich weiß, dass du den willst, aber es gibt hier nur diesen Hipsterstall, dieses Konzentrat an allem, was ich in diesem Bezirk nicht mag: Aufgeblasene Mütter mit zu viel Tagesfreizeit, die um ihr Kind, das immer einen exotischen Scheiß-Doppelnamen trägt, kreisen wie Satelliten, kuhäugige, vollbärtige und sichtbar mit easyjet aus Barcelona/Napoli/Lissabon hierher eingeflogene Hipster hinter alten Laptops, blasierte Schnepfen mit ihren ewigen Ray Ban-Sonnenbrillen, die sie, weil sie so cool sind und einen Modeblog beim superfreshen Neonmagazin oder – nicht ganz so fresh – bei Brigitte haben, auch in-house tragen, und eine ominöse Schnittmenge aus Bermuda-Shorts-Touristen und schafgleich sanftmütigen Erasmus-Studenten, die hier ihr Geld in teuren Espresso mit zu viel Milch und immer zu viel Sirup anlegen.

Quengel? Nein? Quengel? Nein? Ach was, so läuft es natürlich nicht, denn ich, der Papa, kippe viel schneller um:

Quengel. KAKAOOOOOO!

Tilt. Tilt. Oh nein, das Kind quengelt. Was nun? Oh toll, ein Hipsterstall. Super, gibt so wenige davon. Prima, lass uns reingehen, denn wenn die eines haben, ist es Kakao. Wenn du magst mit Zimt. Das heißt dann Triple Fudge Chocolate Milk Maniac Cinnamon Soft Touch Flic Flac Flavor Chikadee Chikadoo New York Rio Tokyo Style Yahoochino Hooray for Boobies Venti. Name vergessen? Macht nix, nächste Woche nennen sie den Scheiß sowieso anders. Das simuliert umtriebige Kreativität.

Ich kann mir nicht helfen, ich fühle mich hier nicht wohl. Vielleicht bin ich auch inzwischen allergisch gegen künstlich auf alt getrimmte Lokale, in denen in Wirklichkeit viel Geld steckt und an denen sich mit viel Aufwand einer der vielen prekären Designfritzen aus Mitte Friedrichshain Kreuzkölln Lichtenberg ausgetobt und doch nichts neues erfunden hat.

Ich kann auch keine Lüftungsrohre mehr sehen. Lüftungsrohre sind Nullerjahre. Lüftungsrohre sind vorsätzlicher Industriecharme der billigsten Masche. Aufgesetzt. Gewollt. Unglaubwürdig. Anbiedernd auch. Hey, kuckt mal alle ganz doll her, wir hatten keine Kohle, die Decke abzuhängen, deswegen sieht das hier so halbfertig aus, wir sind wirklich voll proletarisch und voll prekär, kuckt mal Lüftungsrohre. Jaja.

Halbfertig pseudoverratzt wie dieser Unsympathenhonigtopf hier auszusehen ist in Wirklichkeit eine Menge Arbeit. Auch diese irrwitzig großen Löcher in den Tisch zu bekommen geht nicht ohne großen Aufwand. Eine Fräse muss da schon her, Bohrmaschine unter Umständen auch, denn jedes Loch muss individuell bearbeitet werden, damit keines wie das andere aussieht. So ergibt sich eine Reihe Löcher, die zufällig aussieht, aber es nicht ist.

Vielleicht kaufen sie auch einfach nur Massivholz aus der Ausschussecke von Holz Possling und lassen sich den Scheiß extra von eingeflogenen polnischen Tischlern nach Feng Shui-, Chi Gong- oder Chiang Kai-Shek-Gesichtspunkten zusammenzimmern, was weiß denn ich.

Das Wichtigste ist sowieso die Message: Hey, hier nochmal die Durchsage vom Betreiber. Wir haben keine Kohle und sind voll vintage, also mussten wir diesen alten Tisch von der Resterampe holen. Der Resterampe aus Minsk, Ulan Bator, Phnom Penh oder auch nur von Oma Bolle aus dem Keller in Moabit, haha. Hip Hip. Voll alt, nicht wahr? Kipp bloß den Kaffee nicht um, sonst muss ich neu ölen. Mit besungenem und mit den Füßen draller Sennerinnen aus dem Allgäu gepresstem Pro Natur Hartwachsöl aus nachwachsenden Bienenstöcken, das den Liter mehr kostet als deine Playstation, du Kretin.

Nein, ich kann mir wirklich nicht helfen, ich komme mit dieser allgegenwärtigen Affektiertheit dieses Bezirks nicht mehr klar, ich kann es nicht mehr sehen, es ist fast wie aus dem Lehrbuch für Hipsterställe: Vergilbte Wände, Kaffeebohnen in Holzspendern. Löcher in den Tischen. Und dann diese unerträgliche Starbucks-Freundlichkeit. Das wanzige Duzen. Das unerträgliche Duzen. Das ewige Duzen. Halten wir an dieser Stelle einmal eine untergehende und vollkommen unmoderne Wahrheit fest: Eine der schönsten Einrichtungen der deutschen Sprache ist das Siezen. Es hält Menschen wie durch Zauberhand auf Distanz. Es dauert normalerweise Jahre und viele vor Tresen versoffene Abende bis mich jemand duzen darf, doch in Ställen wie diesen tun sie es einfach so. Wie bei Ikea. Kuchenladen. Salatbar. Eistheke. McDonalds. Selbst mein Chef. Jeder Arsch duzt mich. Als würden wir uns kennen. Oder mögen gar. Wie absurd. Der Einzige, der mich noch siezt, ist mein Bankberater und dem traue ich so weit über den Weg wie ein Pottwal fliegen kann.

Und weil es hier im Hipsterstall immer noch eine Spur pseudo-Mailand-Coffeebar-Style-Authenzität sein muss, darf auch nicht das ständige Brüllen der fertig fabrizierten Bestellungen quer durch den Raum fehlen – in das immergleiche Publikum, das sich hier wie überall sonst im Bezirk in die Polster fläzt, laut, verwöhnt, exklusiv, alle wichtig. Ganz viele Nabel der Welt. Oooouuuuuuh last week I was at Jewish Museum in Kreuzberg. Not very interesting, apart from the architecture – if you’re into it. Pffff.

So.

In dem Duktus.

Mit der Attitüde.

Plus belegter Stimme penetrant-nasaler Tonart, die zum Satzende hin höher wird – so wie sie jetzt alle sprechen, weil sie das für edler halten oder zumindest London-like, dabei finde ich, dass es ein kapitaler Sprachfehler ist, der behandelt gehört. Mit Juckpulver. Oder Rizinusöl. Brennnesseln, wenn hier in der Stadt welche zur Hand wären.

Hier war mal eine Videothek drin. Seit ich zurückdenken kann, gab es die hier. Gut, deren Verschwinden muss niemand beweinen. Filme kommen heute aus der VDSL-Leitung auf Bestellung oder als … ähem … Sicherungskopie von der Sicherungskopie von der … nein, Videotheken rechnen sich nicht mehr, die Zeiten sind vorbei, als Pickelnerds, traurige Bezirksamtsachbearbeiter und ungefickte Scheidungsväter die Pornos aus der Schmuddelecke unter den Mantel gesteckt nach Hause schmuggeln mussten, nachdem sie sich beim Bezahlen vor der studentischen Aushilfe hinter dem Tresen als Röhrenbildschirmwichser geoutet haben: „Lecken in den Dolormiten“ hat aber eine Mark Aufschlag, weil ganz neu. Ist das okay? Ja … ähem, klar.

Vorbei. Den Scheiß gibt es heute als Stream. For free. In jeder Abseitigkeit. BDSM. Füße. Pisse. Kacke. Ärsche. Omas. Sie wichsen heute nicht mehr vor der leiernden Handlung eines VHS-Videos, bei dem der Player kurz vor dem Abspritzen einen Bandsalat in die Spule nudelt, sondern vor dem Computermonitor, wo dann kurz vor dem Höhepunkt der Stream in die Knie geht, weil um 17 Uhr nach Feierabend jeder gerade nach Hause gekommene Bürohengst noch schnell in seine Anzugsocken ejakulieren muss, bevor es Abendbrot gibt, und deshalb die Netzknoten der mit der technischen Entwicklung chronisch überforderten Telekom den Geist aufgeben.

Nein, Videotheken sind tot. Es lebe online. Nur noch die NSA weiß worauf du stehst. Und die wird das nur gegen dich verwenden, wenn du was zu sagen haben wirst in diesem Land.

Was nicht geschehen wird.

Nein, ehrlich, manch alte Dinge, die hier im Bezirk verschwinden, vermisse nicht mal ich, so eine Videothek braucht wirklich kaum noch jemand, außer vielleicht ein paar Nostalgiker, für die sich die Welt permanent zu schnell dreht. Oder Hipster mit VHS-Rekordern und Plattenspielern – beziehungsweise Grammophonen – zuhause, die hier an der Schönhauser Ecke Stargarder an Tischen mit Löchern sitzen.

So gesehen also nicht wirklich schlimm, die Sache. Aber dass es ausgerechnet wieder ein Hipsterstall geworden ist, der sich die frei gewordene Ladenfläche unter den Nagel gerissen hat und der dazu noch aussieht wie alle Hipsterställe von Prenzlauer Berg über Mitte bis Friedrichshain (und bald auch Wedding, wartet nur ab), enttäuscht dann doch. Nichts Neues wächst nach seit Bubble Tea tot ist.

Immerhin: Der Kaffee ist gut.

Und der Kakao zu süß.


Inspiriert von hier

Spreegold
Schönhauser Ecke Stargarder
Kein Plan, ob die ’ne Webseite haben, ich hab‘ gar keine Zeit, ich muss jetzt Memory spielen.