Ich und mein Kumpel Putin

Die Limousine bremst. Es ist ein Mercedes. Schwarz-Metallic. Gepanzert. Neben mir fläzen Klischeehostessen. Russische. Enge Kleider. Viel Farbe. Hochgesteckte Haare. Louboutin. Armreifen. Goldene. Der leichte Geruch von Seife, den ich so mag.

Als sich die Autotür öffnet, trete ich in den warmen Abend Moskaus hinaus. Natürlich werde ich belagert. Menschen schauen. Telefone fotografieren. Ich kenne das. Ich bin der beste Kumpel von Putin. Da macht es auch nichts, dass ich keine Hose trage und mir ein Ei aus dem Tanga hängt. Doch ich schäme mich nur kurz, denn ich habe aus Gründen, die mir gerade nicht einfallen, einen Tischtennisschläger in der Hand, mit dem ich das Malheur notdürftig kaschieren kann bis mir jemand endlich eine neue Hose bringt.

Doch das spielt sowieso keine Rolle, denn ich bin der beste Kumpel von Putin und kann hier tun, was ich will. Er wartet auf mich dort hinten am Eingang. Ich bin einer der wenigen Menschen, die er gerne anlächelt. Bei denen er das auch so meint. Ich gehe auf ihn zu und wir umarmen uns wie wir das schon oft getan haben. Wie wir das immer tun. An diesem Abend wird uns wie so oft kaum etwas trennen können. Männerfreundschaften sind die besten. Ich weiß das. Ich habe viele davon. Aber keine so eng wie mit meinem Kumpel Putin, der jetzt in die Hände klatscht. Es gibt Musik. Bühne frei für Rihanna. Pon de Replay. Der alte Hit von damals. Petersburg. Winterpalast. Mein erster Auftritt. Meine Eroberung. Mein Durchmarsch. Pon de Replay. Rihanna gibt alles, so wie sie immer alle alles geben, wenn mein Kumpel Putin sie um Zerstreung bittet.

Ich atme tief ein und wieder aus. Die Zigarre ist furchtbar, ich mag gar keine Zigarren, mein Hals kratzt, mein Herz klopft, aber ich spiele das Spiel mit. Ich spiele jedes Spiel mit, das sie hier bei Hofe spielen. Darin bin ich wirklich gut. War ich immer schon. Ich bin gut im Spielen.

Jetzt macht mein Kumpel Putin kreisende Bewegungen mit dem Finger in der Luft und sie bringen gallonenweise russischen Champagner herein. In diesen Plastikkanistern, die ich früher immer mit billigem Rumverschnitt und River-Cola gefüllt mit nach Wacken genommen habe, damals, als ich noch nicht der beste Kumpel von Putin war und mir selbst die billigen Getränke an den Saufbuden noch zu teuer waren. Das ist lange her. Heute ist alles anders und dass das hier gar kein Champagner sein kann, weiß ich zwar, aber es spielt überhaupt keine Rolle. Wenn er sagt, dass es Champagner ist, dann ist es welcher. Wer bin ich, der das in Frage stellt?

Ich merke, dass ich wieder einmal unwillkürlich fasziniert davon bin, wie der Hofstaat herumwuselt und intuitiv Dinge veranlasst, wenn mein Kumpel Putin Dinge mit seinen Händen tut. Klatschen. Kreisen. Winken. Die Hofschranzen, die für mich schon lange kein Gesicht mehr haben, scheinen immer zu wissen, was gerade zu tun ist. Was gewollt wird. Wozu sie da sind. Ein Ameisenstaat. So ist das hier.

Mein Kumpel Putin und ich sind unzertrennlich. Er klopft mir gerne auf die Schulter und ich umarme ihn dafür, lasse keine Gelegenheit aus, meine Loyalität zu zeigen. Ich bin ein guter Freund, er soll sich mit mir wohlfühlen, er kann immer auf mich zählen und jede meiner Gesten zeigt das. Ich habe ihn noch nie hängen lassen und das weiß er.

Schranzen. Champagner. Rihanna. Dann plötzlich die Takte von „Bürger von Konsolien“. Jan Delay! Er weiß, dass ich Jan Delay mag. Das macht er nur für mich. Jan Delay, der alte Antifaschist, steht jetzt auf der Bühne. Nur für mich. Gebucht von meinem Kumpel Putin. So fühlt sich Glück an, wir machen uns glücklich, ich mit meiner unbedingten Loyalität und meiner aufrichtigen, aber nie respektlosen Art, die er so mag, und er mit dem Glanz, der von ihm auf mich abstrahlt. Ich winke und sie bringen einen neuen Kanister Champagner. Sie können inzwischen auch meine Gesten deuten. Und das sollten sie auch, denke ich kurz.

Mein Kumpel Putin gibt ein Zeichen und nun wird die Plane von einem Schwimmbecken entfernt. Eine Turmspringerin macht sich weit oben auf einem Sprungbrett bereit für eine Pirouette. Jan Delay singt jetzt eines seiner schnelleren Lieder aus der Funk-Episode. Ich ärgere mich, dass ich meinem Kumpel Putin nicht bei einer passenden Gelegenheit gesagt habe, dass ich die Funksachen von Jan Delay nicht so mag, sondern eher die alten Tracks, weil sie mich so sehr an meine heiße Kifferphase erinnern, als kaum ein Tag nicht von einem Spliff zum Feierabend veredelt wurde.

Wir schauen jetzt alle auf die Turmspringerin, die sich bereit macht, mir und meinem Kumpel Putin die beste Pirouette ihrer Karriere aufzubieten. Ich frage mich, was der Abend noch so alles an Kunststücken und Fertigkeiten bringen wird, bei denen ich so tun werde, als würden sie mich beeindrucken, dabei beeindruckt mich mit zunehmenden Alter und den ständig wechselnden Superlativen immer weniger.

Konzentration und Sprung. Drehung. Korkenzieher. Doch sie hat sich verschätzt und der Kopf knallt mit voller Wucht des Drehmoments auf den Beckenrand, der Schädel platzt auf, Blut und diese gallerartige graue Masse, die ich aus Filmen kenne und die nur Gehirn sein kann, verteilt sich auf den Paletten, auf denen die Kanister mit dem russischem Champagner gestapelt sind. Der Körper der Turmspingerin zuckt noch kurz und liegt nun unnatürlich geknickt halb im Wasser, halb in dieser bizarren Suppe aus Blut und Gehirn. Knochenteile ragen wie Felsspitzen aus gerissener Haut. Ich schaue nicht weg.

Mein Kumpel Putin hat die Lage sofort im Griff. Er winkt und Jan Delay hört auf zu singen. Er wedelt und der Champagner wird aus dem Raum gebracht. Dann tritt er souverän auf ein älteres Paar zu und spricht sein tief empfundes Beileid aus. Es sind die Eltern der Turmspringerin. Ich sekundiere und setze ein betroffenes Gesicht auf. Das kann ich gut, das habe ich schon in diesem Krankenhaus gemacht, in dem die sibirischen Bergleute lagen, die das Grubenunglück kürzlich überlebt haben. Und bei dem Besuch bei den Angehörigen dieses Terroranschlags letztes Jahr. Ossetien. Abchasien. Irgendwo da. Ein Marktplatz. Kann auch ein Schulhof gewesen sein. Kann mich nicht mehr erinnern. Ich bin ein guter Spieler, sagte ich das schon?

Mein Kumpel Putin und ich wissen, dass nun nicht mehr weiter gefeiert werden kann. Jetzt greift die ganze Routine desjenigen, der Situationen wie diese kennt. Ein Leben als permanente Krisenbewältigung auf höchstem Level. Routine. Kein Lachen mehr. Anteilnahme. Ernsthaftigkeit. Staatsraison.

Mein Kumpel Putin hat alles im Griff. Schnell wird die Leiche weggeschafft. Der Beckenrand wird gefeutelt. Die Hostessen ziehen den Lippenstift nach. Mein Kumpel Putin verspricht ein Staatsbegräbnis mit Fliegerstaffel, Raketen und Panzern in die Kameras, während ich merke, dass ich wieder keine Hose anhabe.

Dann wache ich auf und es ist Prenzlauer Berg. In meine Schläfe sticht eine Daunenfeder aus dem Kopfkissen. Draußen klagt ein Besoffener sein Leid in die Welt. Die Colaflasche neben meinem Bett ist umgekippt.

Später am Tag wird mein Therapeut sagen, dass ihm mein seelisches Waterloo durch die Wahl eines sozialdemokratischen Kanzlers in jungen Jahren so langsam Sorgen bereitet. Außerdem wird er mir raten, mein Russlandbild zu überdenken.

Und ich? Ich mag gar keinen Champagner. Und Zigarren erst recht nicht.