Fest gemauert in den 90ern steht der Schlumpf im Siff erstarrt

Lenbachkiez. Friedrichshain. Ich bin auf einen Kaffee verabredet. Na sicher, das war ja klar, natürlich sitzen auch hier wieder die obligatorischen Klischees mit Hornbrille, Macbook, Flanellhemd und sogar einer mit riesigem Kopfhörer (schon wieder eines dieser Teile, die diese Vögel aussehen lassen wie Vorkriegspiloten. Auf welchem Flohmarkt graben sie solche Dinger eigentlich aus?).

Ich weiß inzwischen: Das Phänomen ist weder eine Erfindung prekärer Kolumnisten superselbstironischer Studentenmagazine noch sind sie inzwischen ausgestorben wie gerne mal behauptet wird. Sportfreunde Stiller-Gesichter. Bosse. Tocotronic. So sehen sie aus. Alle. Nur mit Fusseln um den Mund. Unterschiedliche Länge zwischen Koteletten, Oberlippe und Kinn. Wahrscheinlich Absicht. Das mit der Nagelschere so ungleich zu schneiden dauert morgens im Bad bestimmt länger als das Makeup von Katze Katzenberger. All das machen sie immer noch so wie 2012, als man sie in den Illustrierten noch Hipster genannt hat, derweil in ihren Pilotenkopfhörern, die sie todsicher auch morgens im Bad tragen, Madsen läuft. Oder anderer superironischer Studentenrock. Kraftklub. Tomte. Kettcar. Sowas. Bärtige, auf Punkrock gedrehte Mittdreißiger-Schlagermucke, die niemandem wehtut.

Der Laden selbst ist vintage. Natürlich. Opas verkackte Holzstühle aus der Scheune feiern hier ihren zehnten Frühling neben Polstermöbeln, die seit der Weimarer Republik keiner mehr ausgeklopft hat, und altersschwachen Barhockern aus HO-Gaststätten der abgewrackten DDR, die für alle Menschen über 60 Kilo nicht sicher genug aussehen, um sich auf sie zu setzen.

Hunger. Ich reiße die Karte von der Tischplatte. Ritsch. Sie klebt. Der ganze Tisch klebt, ein paar Haare vom Unterarm müssen ihr Leben aushauchen. Tabakkrümel kleben verstreut auf dem Tisch, sie sind wahrscheinlich von der Millenniumsfeier übrig geblieben, als sich Ariane Sommer an diesem Tisch eine Kippe gedreht hat. Wer Ariane Sommer ist? Das ist so egal wie alles, was 2000 noch die Welt bewegt hat.

Hunger. Hunger. Hunger. Ich muss etwas essen, sonst bekomme ich noch schlechtere Laune bei meinen Gedanken an die Luftschaufler und Windbläser, die ich nachher zu einem der unzähligen und so unvermeidlich wie sinnlosen Meetings treffen muss und die ich wie immer versuchen werde, im Luftschaufeln und Windblasen zu überbieten. Weil ich es kann. Wenn ich gut gegessen habe.

Pasta nach Tagesangebot steht auf der verratzten Karte, die unter meinen Händen auseinander fällt. Ja, Pasta klingt gut. Nein, gibt es nicht mehr, sagt die, die es wissen muss. Gibt es nicht mehr? Gibt es nicht mehr. Aha. Was dann? Chili con carne gibt es. Na gut. Besser als nix. In zwei Stunden ist das Meeting in Oberbaumcity angesetzt. Bis dahin gären die Bohnen im Darm gut durch. Klar. Furz ich eben den Sitzungssaal voll. Dann dauert die Sabbelfolter der vereinigten Wichtigtuer vielleicht mal unter zwei Stunden, weil es keiner in dem Muff länger aushält. Man muss die Dinge auch mal positiv sehen.

Das Chili dauert. Ewig. Was zum Teufel dauert an Chili con carne ewig? Das ist vorgekocht, wird kurz in die Mikro geschoben und gut. Tick. Tack. Spät kommt es, aber es kommt immerhin überhaupt, das Chili, doch es ist unessbar heiß, Mikrowellen-heiß, Blasen-an-Munddecke-heiß, Blasen, die ich später mit dem Fingernagel aufpolken werde und die dann brennen werden, weil ich es nicht lassen kann, die übrig gebliebenen Munddeckenhautfetzen mit der Zunge abzupiddeln. Yummi. Fuck you. Das Zeug ist so heiß, es verhält sich quasi reziprok zum Mineralwasser mit seiner absurden cocktailgleichen Menge an Eiswürfeln, was bewirkt, dass es dadurch natürlich keine Kohlensäure mehr hat, aber dafür untrinkbar kalt ist. Vielleicht schütte ich beides zusammen, dann geht es. Ach hör‘ doch auf. Ich habe schon wieder keine Lust mehr. Was ist das nur wieder hier? Was soll das alles? Wo sitz‘ ich hier nur wieder?

Zwischenzeitlich laufen mehrere dieser gewollt gammligen Tim Bendzkos an die Bar, um neuen Kaffee zu bestellen. Oder irgendetwas anderes. Eine dieser neuen schweineteuren Weltverbesserer-Limonaden etwa, die schmecken wie die selbstgepressten Zitronensäfte mit Rohrzucker, die von glücklichen Müttern auf den Kita-Sommerfesten Prenzlauer Bergs verkauft werden. Oder sie holen sich fritz kola. Mit ironischem k statt imperialistischem c. Und wanziger RAF-Kleinschreibe. Jaja, schau schau, hier kommt der Berg zum Prophet. Respektive zu den Propheten. Die hinter der Theke fläzen und keine Anstalten machen, diesen Ort je zu verlassen, diese affektiert gelangweilten Pomeranzen, die vorhin anstatt mein Chili warm zu machen lieber die Frage eruiert haben, ob als nächstes Aminata oder Nathalie rausfliegt (woraus auch immer), wobei sie sich einig waren, dass Aminata ziemlich übel arrogant ist und den Rauswurf verdient hätte, derweil ich mir sicher bin: Ich mag den Laden nicht. Besser: Ich hasse es hier.

Und, hey, natürlich ist das Chili fad. Nicht die Bohne (haha Wortspielficker, schieß dir ’ne Kugel in den Mund) scharf wie Chili sein sollte. Traut man sich wohl nicht. Oder man hat einfach keinen Bock. Wie man auf alles hier keinen Bock hat. Dosenmais, ein bisschen Zwiebelhack, passierte Tomaten, das war’s, nicht mal für Paprika hat die Kreativität ausgereicht. Mama Miracoli-Bolognese mit Bohnen und Mais. Ich bin genervt.

Nach der Hälfte mag ich mein Chili nicht mehr und will weg. Ritsch! reiße ich mein Smartphone vom Tisch, dessen Rückseite jetzt klebt. Weg hier. Ich bin kein Revolverheld und sitze aus diesem Grund nicht stundenlang wichtig in viertklassigen Cocktailbars an verklebten Tischen mit verschnarchtem Service herum, der inzwischen kettenrauchend irgendwo draußen steht und klönt, bis ich endlich irgendwann aufstehe und mein Geld nach vorne zur Bar bringe, an der auch eine herumsteht, Luft atmet und mit quietschbunten Plastikfingernägeln auf ihrem rosa iPhone rumtippert. Doch wenigstens nimmt sie mein Geld.

Ich kann mich wieder einmal nicht dazu durchringen, den Betrag nicht wenigstens aufzurunden, zu viel Skrupel mal wieder, dabei könnte ich mir doch mal Cents rausgeben lassen und ein Zeichen setzen, dass sie damit nicht durchkommen, mit dieser Schlurfigkeit, ihrer unerträglichen Berliner Bräsigkeit, die Zugezogene und Touristen immer noch für cool halten. Aber das wäre dann doch nur kleinlich wie Opa Kowalke aus Laubenpieper City Pankow-Heinersdorf, der unterbezahlte Gastronomiekräfte mit nicht gegebenem Trinkgeld erzieht. Nein, so will ich nicht enden.

So bleibt mir nur die immer wiederkehrende Erkenntnis: Ich mag nicht mehr. Mich ödet es inzwischen nur noch an. Seit 20 Jahren die gleiche Scheiße als Schneise der Verödung in diesem Gürtel des Grauens quer durch Friedrichshain: Verschlumpfte 90er-Bars. Sie wollen einfach nicht eingehen und aus irgendwelchen Gründen, die meist nicht mir zuzurechnen sind, lande ich immer mal wieder in einer. Verschnarcht. Verschlurft. Verschlumpft. Will ich nicht mehr. Brauch ich nicht mehr. Hatte ich zu oft. Gibt es schon zu lange. Viel Spaß dort allen Vierkanttretlagers, allen Cluesos und Jennifer Rostocks. Schon gehört? Judith Holofernes hat ein Soloalbum gemacht. Läuft bestimmt bald auch hier. Wenn sie nicht sogar selbst hier sitzt. Vor einer Flasche BioZisch. Was? Schon so spät? Ich muss weg.


Irgendsoeine Bar

Straße vergessen, ist auch egal

Irgendwo am Ostkreuz

Webseite bin ich zu faul zum Suchen, Schlumpfigkeit färbt ab


Overhype – Frau Mittenmang