Von der schwer erträglichen Bigotterie des Schnöselbezirks

Wo wir gerade bei Prenzlauer Berg sind: So ein erster Eindruck trügt ja auch manchmal. So dachte ich damals bei der Eröffnung des Oil & Vinegar, dass da mal ein wenig Stil in die Müllfraßecke vom Eingangsbereich der Schönhauser Allee Arcaden einkehrt, ist der Ort doch sonst der unangefochtene Garant für schlechten Geschmack, an dem sich Ditsch und Nordsee die fettige Hand reichen und die Chinabutze, die Kekspizza und der Hackfleischdöner Schmiere stehen.

Nun kam also Oil & Vinegar. Alles ein wenig feiner, exklusiver, ein Einkaufsparadies für Gutverdiener und ein Indiz dafür, wie sehr sich die Gegend in den letzten 15 Jahren gewandelt hat. Jetzt kauft man hier importiertes münchener Brot für 5,85 das halbe Laib und tunkt es in eine Schale Olivenöl für 9,95.

Die 100 ml.

Klar, ich mag das Zeug. Natürlich, man muss das mögen, es ist ja auch sehr exquisit, sehr edel. Ich mag es wirklich sehr.

Wenn ich es geschenkt bekomme.

Von Freunden, denen sonst nix einfällt.

Oder wenn ich es selber schenke.

Weil mir noch weniger einfällt.

Neulich an der Kasse sehe ich ein Schild: „Verkäufer/in auf 450 Euro-Basis gesucht.“ Aha, man sucht also Billigjobber, Minilöhner. Um sich die Sozialversicherung zu sparen. Damit vom viel zu teuer verkauften kaltgepressten Olivenöl noch ein paar Euro mehr Reingewinn übrig bleiben. Und damit vielleicht drei, vier, fünf Leute aus der Statistik genommen werden können, weil sich das in den Schlagzeilen von Zeitungen, die es nicht besser wissen (wollen), so gut verkaufen lässt von denen, die gewählt werden wollen.

Man sucht also für diesen Job genau die, die später mal ihre ranzige Rente mit Hartz IV aufstocken müssen, weil sie in ihrem Leben zu viele dieser Billigjobs gemacht haben, was für eine Rente, von der man leben könnte, kaum Punkte bringt.

Die mit Tomate eingefärbten Bandnudeln für 9 Euro das Päckchen wollen nicht so recht dazu passen.

Auch nicht das Essig- und Ölsortiment mit 5 x 100 ml für 25 Euro – schön als Geschenk verpackt für Ideenlose.

Oder das kleine Spaghettipack in schwarz, eingefärbt mit Tinte von wahrscheinlich handmassierten Oktopussen, die den Song Jede Zelle meines Körpers ist glücklich auswendig können, für einen schlappen Fünfer.

Es passt einfach nicht.

Man lässt Luxusartikel für die Luxusbewohner des Bezirks zu Luxuspreisen von Billigjobbern verkaufen, die hierfür wahrscheinlich jeden Morgen anderthalb Stunden aus Marzahn-Hellersdorf anreisen, wo die Spaghetti beim Discounter im gleichgroßen Pack 39 Cent kosten und die von dem Fünfer für die schwarzen Spaghetti von Oil & Vinegar ihre Familie für einen Tag sattkriegen (müssen). Und nach drei Stunden Frühschicht geht es dann weiter nach Wilmersdorf. Oder nach Spandau. Zum nächsten Billigjob. Oder gleich heim in die Platte. Weil es erst morgen wieder zum Putzen nach Grünau geht.

Derlei Patchworkberufsleben knapp über dem Existenzminimum läuft seit etwa zwei Jahrzehnten unter dem Label Flexibilisierung und wird gezielt vorangetrieben. Unter Kohl eingeführt, unter Rot-Grün verschärft. Es gibt eine Menge Leute, die finden das gut. Ich gehöre nicht dazu.

Stil.

Dachte ich.

Nein, Stil hat das nicht. Es passt nicht. Es ist unsympathisch. Es stinkt.

Dieser Bezirk ist sowieso bigott. An jeder Ecke predigen Apologeten eine bessere Welt, selbst den Tieren soll es so gut wie möglich gehen, während man die Frage, wer einem eigentlich gerade das sinnlose rosa Himalayasalz für 14,50 verkauft, völlig ausblendet. Keine Spur von Reflexion. Der Laden ist voll. Er brummt.

Entsprechend viel kann das Personal natürlich über die Waren sagen. Nämlich nichts. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Olivenölen? Zu welchen Salatvariationen passt Passionsfruchtessig am besten? Kann ich mit dem Arganöl in der gußeiseren Pfanne was anbraten oder gibt das Sauerei? Nichts. Gußeisernes Schweigen und ich kann es verstehen. Für 450 Euro mit Aussicht auf Rente auf Hartz-Niveau soll man nicht nur freundlich und dankbar sein, sondern auch noch Lösungen für Luxusprobleme parat haben, die einen nie betreffen werden (können). Lass mal stecken, das erwarte ich nicht. Ich würde es auch nicht tun.

Nein, meine Laune ist nicht gut. Die Zeiten sind wie sie sind, ich weiß das, man kann das machen, zu viele machen das auch und noch viel mehr müssen es mit sich machen lassen. Aber ich muss das nicht gut finden.

Lost in Schnöselland. Ich habe genug gesehen und kaufe meinen Geschenkkorb für die nächste angesagte Geburtstagsfeier lieber woanders oder bastel ihn mir selbst zusammen. Ich finde den Laden aus dem Bauch heraus unsympathisch wie einst Schlecker oder Kik und der kleine Proletarier in meinem Inneren, der sich in Zeiten wie diesen kaum noch raustraut, weil er nicht mehr versteht, warum das alles so reibungslos funktioniert wie es funktioniert, ist empört und es braucht ein paar Stunden und ein paar Pils, bis er sich beruhigt hat und wieder in seine Apathie fällt.