Psychopathentreff über den Wolken, heute: Der Immobiliensack

 

Rückflug von Köln/Bonn. Der da mit dem Gel im Haar ist der Immobiliensack. Er ist der anstrengendste Mensch im ganzen Flieger, zersetzt schon seit dem Wartebereich am Gate meine Nerven und sitzt jetzt natürlich: Vor mir.

Er wurde aus irgendwelchen Gründen von seinen Immobiliensackkumpels separiert und weil er es nicht schafft, einfach einen Kurzstreckenflug lang die Fresse zu halten, quatscht er seinen armen Sitznachbarn an. Dabei bringt er die bewährte Honigtopfmethode zur Kontaktaufnahme: Zwei, drei unverfängliche Fragen stellen und dann, wenn der Karpfen angebissen hat, bei der erstbesten Gelegenheit dazwischengrätschen und lossabbeln. Ohne Punkt. Ohne Komma. Ohne Leerzeichen. Nicht mehr von der Angel lassen. Festlabern. Am Ende winkt der Kaufvertrag.

„Na? Auch zurück nach Berlin?“ (Wohin sonst, du Vogel. Oder sitzen wir etwa im Flieger nach Archangelsk, der nur mal kurz in Berlin zwischenlandet, bevor er sich auf den Weg ins ewige Eis macht?)

„Wo waren Sie? Köln?“

(Schuss in den Nebel. Köln geht immer besser als Bonn. Niemand gibt freiwillig zu, in Bonn gewesen zu sein.)

„Köln. Ja.“ (Der antwortet ihm. Wie es fast alle tun würden. Fehler. Ich lasse solche Leute wortlos abtropfen, wenn ich nicht sowieso schon Kopfhörer im Ohr habe, um mich vor der chronisch fürchterlichen Außenwelt wenigstens akustisch abzuschotten.)

„Ist auch schöner da als in Bonn, nicht? Hahahaha.“

(Na schau mal einer an. Eine Binse. Originell ist er auch noch.)

„Und? Was haben Sie in Köln gemacht?“

(Klassiker. Jetzt kommt erst die Antwort, die niemanden interessiert und dann grätscht er dazwischen und erzählt, was er so gemacht hat. Damit leitet er über zu dem, was er transportieren will. Und am Schluss, klar: Kaufvertrag. Oder Anbahnung. Oder zumindest Visitenkarte.)

„Ach, ich war bei einer Familienfeier. Mein Bruder hatte Geburtstag.“ (Uuuund Action!)

„Ha! Wir haben auch Geburtstag gefeiert. Und einen Verkaufsabschluss. Wir, die ganze Crew, die sitzen alle da vor … hallooooo Inga! Wink mal! Hier! Hahaha….“

(Ich sollte mir Kaugummi in die Ohren stecken, mein Hirn will da raus fließen, ich spüre es schon.)

„Wir machen alle in Immobilien. Alle in Berlin. Heißer Markt momentan. Ich bin eigentlich aus Iserlohn. Aber Berlin ist der heiße Markt. Sie kriegen alles los momentan, egal was. Griechen. Russen. Die kaufen alles. Berlin ist ne heiße Nummer. Alle wollen nach Berlin. Wir kaufen, sanieren und verkaufen. In Serie. Es ist unglaublich einfach, wie sagt man so schön, Lizenz zum Gelddrucken, hahahaha…“

(Aha, so einer ist er also, ein Sanierer, face it, vor dir sitzt der Feind. Der mitspielt beim großen Spiel der Teuerungsspirale. Er ist einer von denen, der Strukturen, ja ganze Kieze aufbricht, einer von denen, die aus Gentrifizierung und Vertreibung ihren Profit ziehen. Sich in die Tasche lügen bringt nix: Ich hasse ihn schon jetzt.)

„Waaahnsinn, was in Berlin momentan möglich ist. Alles geht. Alles. Rendite ohne Ende. Sie können alles verkaufen, zu Preisen, die noch vor ein paar Jahren keiner für möglich gehalten hat.“

(Der Bastard ist gerade mal Mitte 20 und wird reich, indem er mit Wohnraum spekuliert. Wohnraum. Der dafür da ist, damit Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Ein Zuhause. Heimat meinetwegen, auch wenn das abgedroschen klingt. Wenn er gleich erzählt, wie er Mieter rausmobbt, kann ich für nichts garantieren.)

„Klar, Mietwohnungen gehen auch. Ist ein bisschen schwieriger, weil man erst die Mieter loswerden muss. Freimachen, die Hütte, heißt die Devise. Die meisten kriegt man mit Abfindungen. Lächerlich. 10.000. 12.000. Gar kein Problem. Dann sind die Wohnungen frei und auf einen Schlag locker 100.000 mehr wert.“

(Sein Sitznachbar zwiebelt sich das ganze Geseier rein und nickt nur stoisch anstatt dem mit seinem Brillenbügel die Augen aus den Höhlen zu schälen. Brummt nur müde. Heuchelt schlappes Interesse. Gibt sogar regelmäßig Stichworte und dem Immobiliensack so die Möglichkeit, noch eine Schippe draufzulegen. Ich verjage Gedanken, deren zentraler Bestandteil ein Flammenwerfer ist. Man darf das nicht denken.)

„Bei manchen Mietern geht es nicht ganz so einfach. Da gibt es andere Methoden.“

(Oh ja, sprich es aus, moment, gleich läuft mein Smartphone mit. Sprich es aus. Ich zeig dich an. Komm, lass alles raus.)

„Aber da spricht man nicht drüber.“

(Fuck.)

„Lieber ist es mir, sie gehen freiwillig. Die Stadt verändert sich. Berlin verändert sich. Den Weg können nicht alle mitgehen. Es ist eine spannende Zeit. Alles ist möglich momentan. Wir stehen am Anfang. In ein paar Jahren haben wir München überholt. München ist von gestern. Ausgelutscht. Ein Witz. London. Da geht es hin. London. Spitzenpreise. Den Gipfel haben wir noch lange nicht erreicht.“

(I bet, you fucker.)

„Eine solche Rallye wäre vor ein paar Jahren noch gar nicht möglich gewesen. Kreuzberg. Neukölln. Da hätten ganze Straßenzüge gebrannt. Heute geht das. Nix mehr los. Tote Hose. Die nehmen heute alle drei Jobs an, um die Miete aufzubringen, hahahaha. Und die letzten paar Querulanten werden einzeln rausgekehrt, wenn sie Ärger machen. Wirklich, eine spannende Zeit. Alles ist möglich.“

(Flammenwerfer. Es ist Winter. Man muss heizen.)

„Interessieren Sie sich für eine Immobilie? Im Moment ist’s noch günstig mancherorts. Ich habe gerade ein paar interessante Objekte. Kreuzkölln. Hahaha. Kreuzkölln nennt man das Gebiet inzwischen, wissen Sie das? Ist aber eigentlich fast schon wieder durchgenudelt. Hermannstraße ist im Kommen. Vor allem die Seitenstraßen. Sie werden sehen: In ein paar Jahren haben sie da keine Türken mehr. Oder nur noch ein paar. Die es sich leisten können. Die sich anpassen können. Und solche Türken lass ich mir gefallen, sag ich immer, hahahaha. Scheeeerz.“

(Scheiß auf den Flammenwerfer. Ich will Kneifzangen. Und Lötkolben. Aufhören. Bitte nein, ich will das nicht denken.)

„Ihre Investition wird sich verdoppeln, ach was, verdreifachen. Wie Prenzlauer Berg. Nur besser. Hermannstraße. Boddinstraße. Flughafenstraße. Das Dreieck da. Alles innerhalb des S-Bahn-Rings. Im Moment noch voll mit Pennern und Asozialen. Und Ausländern. Spottbillig. Ein Witz! Tempelhofer Feld vor der Tür. In zehn Jahren werden Sie da ein ganz anderes Publikum haben. Verdreifacht. Mein Wort drauf.“

(Filetiermesser. Flusssäure. Eisensäge. Aaah! Geh aus meinem Kopf. Das darfst du … nicht denken.)

„Ich gebe Ihnen meine Karte, rufen Sie mich an. 120.000 für 80 Quadratmeter zweiter Stock sind möglich. Mit Mietern. 200.000 ohne. Wie Sie wollen. Rufen Sie mich an. Hier meine Ka…“

Ich blende mich aus. Die Gewaltfantasien machen mich fast blind. Ich kann nicht mehr weiter zuhören, weil das schlecht für meine Gesundheit ist, also stecke ich mir die Kopfhörer in den Gehörgang und drehe Ton Steine Scherben auf. Danach Rage Against The Machine. Beastie Boys. Sabotage. Casper. Im Ascheregen. Augen und Herzen sind Dynamit, singt der. Ich muss mir die Ohren waschen. Ich habe einem von ihnen zugehört. Einem der Stadtaufkäufer. Einem der Entmieter. Einem Wichser. Dem Feind. Wenn ich mich jetzt nicht ausklinke, klinke ich aus.

Der Flieger landet. Casper hab‘ ich noch im Ohr.

(brenn‘, brenn‘, brenn‘).