Es wird Winter in der City West

City West. Es zieht. Der Winter, der harte Berliner Winter, wirft seine Schatten voraus. Der mit dem Eiswind. Er kommt. Ein Abgerissener auf einem rostigen Fahrrad, an dessen Lenker Lidltüten und ein Schlafsack hängen, fährt an mir vorbei. Für ihn geht es jetzt wieder um alles. Winter. Schnee. Minusgrade. Volle Unterkünfte. Mit Glück ein offener U-Bahnhof. Oder der Vorraum einer Bank, wo die Geldautomaten stehen, dort, von wo ihn Schnösel kurze Zeit später von Beamten abholen lassen, weil er stinkt, weil er beim Geldabheben stört, weil er da nicht schlafen darf, weil er raus muss, am besten dorthin, wo man ihn nicht sieht. Niemand will das sehen.

Es sind viele von ihnen unterwegs hier. Wenn man die Augen offen hält, dann sieht man sie, Arm im Mülleimer versenkt, eine Plastiktüte zu viel, in der der Hausrat verstaut ist, die abgerissene Sohle vom Schuh, die kaputten Zähne, das komische karierte Sakko, das nicht so recht zur Jogginghose passen will.

Wenn man sie nicht sehen will, dann sieht man sie auch nicht.

Dort vor Edeka stehen auch zwei. Strubbelig. Flasche. Jeder eine Alibi-Obdachlosenzeitung in der Hand. Die letzte. Oder die einzige. Man will ja nie so eine Zeitung. Sie ist nur der Vorwand, etwas zu geben und dann großherzig auf sie zu verzichten, weil man sie sowieso nicht lesen würde und ihm nicht noch das nehmen will, was er noch hat.

Ich sehe heute gut aus, Mantel, Hemd, die Schuhe geputzt, der Bart gestutzt, schwarze Lederhandschuhe, sie sind warm, aber nicht grob. Ich habe einen Termin in einem Hotel, es wird Shrimpcocktails geben, es wird warm sein, Kaminfeuerwärme, vielleicht ein Bier dazu. Mir ist heute nicht nach Wein. Sherry wäre angenehm. Man wird sich mit mir über die politische Lage unterhalten. Große Koalition. PKW-Maut. Ein Minister Dobrindt. Steinmeier als Außenminister. Später wird es persönlich werden. Familie. Kinder. Karriere. Neues Auto. Man wird prosten, man wird lachen, es wird warm sein.

Bei Edeka kaufe ich eine Packung Fishermans. Frischer Atem ist mir wichtig. Ich zahle mit einem Schein. Das Restgeld drücke ich einem der beiden in die Hand, wünsche ihm einen schönen Abend. Er wünscht mir das auch und lacht mich an. Keine Zähne. Ich hole den Geldbeutel noch einmal raus, gebe das was mir nicht weh tut.

Wir haben bald wieder Winter. Es ist jeden Winter so. Doch irgendwas ist anders. Sie werden mehr. So viele waren es früher nicht.


Wenn Sie einen Obdachlosen sehen, der offenbar hilfebedürftig ist, dann sprechen Sie ihn an. Helfen Sie. Scheißen Sie darauf, ob er stinkt. Fragen Sie, ob Sie den Kältebus rufen sollen. Sie erreichen ihn für Berlin unter 0178 – 523 58 38 (Hamburg siehe hier). Er fährt von 21.00 – 03.00 Uhr. Ist er nicht ansprechbar, dann rufen Sie einen Krankenwagen: 112. Lassen Sie bitte niemanden erfrieren.