
Lange nicht mehr hier gewesen. Knaack- Ecke Rykestraße. Ich wohne in einem Kiez, der schon lange nicht mehr meiner ist und besuche manche seiner Ecken nur noch selten bis gar nicht, sondern fahre stattdessen nach Kreuzberg, Treptow, Neukölln, Lichtenberg, Hellersdorf sogar.
Dies hier ist Knaack- Ecke Rykestraße, die Ecke der legendären Kommandantur. Was wurde hier gesoffen, was wurde hier gekifft, was wurde hier gefeiert, was wurde hier gelebt, geliebt, getanzt, umarmt, geknutscht, verbrüdert, die letzten Kröten des Monats habe ich hier versenkt, hier auf dem Bordstein sitzend, Bier um Bier, Kumpels um Kumpels, Geschichte um Geschichte …
… von denen, die dort damals meine Brüder waren, kenne ich heute niemanden mehr, verstreut in alle Winde, weiß nicht, wo sie heute sind, ob sie heute überhaupt noch leben, was sie tun, ob sie woanders immer noch leben, lieben, tanzen ….
… uns gehörte hier an diesem magischen Ort nicht weniger als die Welt. Wir haben das Leben nicht eingeatmet, wir haben es verschlungen, das Fleisch von den Knochen genagt und uns die Finger abgeleckt, die Sorgen weggetanzt, weggesungen, wegdiskutiert, mit schwerem Kopf. Bis in den Morgen.
Heute ist hier eine Pizzeria drin. Und daneben ein französisches Restaurant. Biotextilien gibt es um die Ecke. Yoga. Privatpraxen. Durchgestylte Kinderläden. Therapeut an Therapeut. Und ein Feng Shui-Berater. Oder Chi Gong. Bum Kun Cha. Hong Kong Pfui. Egal. Der Ort ist verödet. Kinderwagen neben Kinderwagen. Und niemand macht auch nur einen Jota Platz, ich muss in Hauseingänge ausweichen, damit sie nebeneinander vorbei können, die drei Bugaboos. Kein Danke. Kein Blick. Arroganz ist der Begleiter. Die unvermeidlichen Fahrradfahrer klingeln mich von hinten vom Bordstein. Wie selbstverständlich mache ich Platz. Und die Schickeria schlürft Veuve Clicquot an dieser Ecke, die Geschichte atmet. Respektlos haben sie ihn eingenommen, meinen Ort. Gekauft. Befriedet. Und verödet.
Die Synagoge schräg gegenüber hat man eingepollert. Jüdisches Leben wird wieder separiert, gehört nicht dazu, zum eigenen Schutz. Von Normalität keine Spur. Ich mag das nicht. Ich will, dass jüdisches Leben Teil der Gesellschaft ist. Mittendrin. Ohne Poller. Ohne Polizei mit Maschinengewehr. Warum geht das nicht?
Auf dem Foto ist es Samstag. Im Sommer 2013. Später Nachmittag. Vor 15 Jahren noch wäre der Platz vor dem Wasserturm an einem Samstag voller Menschen gewesen. Menschen, nicht Veuve Clicquot-Zombies, Austernschlürfer, Schickeria, Geldadel.
Jetzt ist das da nur noch ein Dorfanger. Ein steriler. Topsaniert. Postkartenidylle. Er könnte so auch in Brandenburg stehen. Oder in München.
Als ich meinen Erinnerungen nachhänge, fährt ein Hop on-Hop off-Bus vorbei und Touristen glotzen aus schmierigen Fenstern. Man erzählt ihnen wahrscheinlich gerade von der wilden Zeit dieser Gegend, als die Luft in Prenzlauer Berg noch mit der Revolution schwanger war und alles möglich schien.
Hier war mal mein Zuhause. Mein Bezirk. Er gehört jetzt den anderen.