Die wilde Ingrid

Ach Ingrid, liebe Ingrid, dein armes dummes iPhone ist weg, aus den Augen verloren ausgerechnet in der wilden Renate, dem vorsätzlich versifften Hipsterstall voller Schnöselgesichter, die es sich viel kosten lassen, so vintage, so retro, so obdachlos wie möglich auszusehen.

Du glaubst, du bekommst es wieder? Hier in Berlin? Du bist noch nicht lange hier, nicht? Wahrscheinlich erst seit letztem Wochenende – mit dem Bauernbomber vom Flugplatz Zweibrücken eingeflogen, um ein fettes Wochenende in der hippen Hauptstadt zu verbringen, doch jetzt ist nicht mehr passiert als dass dein fettes iPhone 5 weg ist. Autschi.

Du glaubst, das hat jemand gefunden, nachdem du es verloren hast? Nein, das hat niemand gefunden, das hat jemand geklaut, wahrscheinlich ein bärtiger Typ mit Flanellhemd und Hornbrille (der so aussieht wie alle Typen in der wilden Renate aussehen). Jetzt kuck nicht wie ein geprügelter Hund, bitte, natürlich ist es geklaut und vertickert und zwar an Ronnys Garagenfirma, der das Ding gecrackt, neu aufgesetzt und an Bogdans Garagenfirma weitervertickert hat, der es wiederum frisch poliert und in einer schönen Verpackung drapiert bei Ebay reingestellt hat, wonach es mit allen anderen geklauten iPhone 5s dieser Stadt irgendwohin nach Weißrussland verschifft und dort von Lukaschenkos Familienclan zu Gold gemacht wird. Und zwar für mehr als die popeligen 150 Euro, die du, Ingrid, hier von deinem Taschengeld abzwacken willst.

Und Herzchen bringen an dieser Stelle schon mal gleich gar nix, liebe Ingrid, das ist Berlin. Wir hassen Touristen und wir lachen über Touristen aus Osnabrück, die in der wilden Renate rumposen, sich dabei ihr iPhone klauen lassen und dann die ganze Gegend mit hektischen Zetteln vollkleben, von dessen Text man den Eindruck hat, dass ihn ein Fünfjähriger geschrieben hat.

Das mit den Zetteln klappt in Quakenbrück, wo Rüpelrentner Werner den Dieb schon gestellt hat bevor die Tinte auf den Zetteln getrocknet ist. Doch hier ist Berlin. Hier klauen sie den Kindern die Lollis aus der Hand, wenn man die nicht am Handgelenk festkettet. Also lern‘ draus. Das ist Berlin, wo du irgendwann mal hin willst, wenn du in der wilden Renate, im Kater Holzig oder auf der Boxhagener genug Hipster für ein eigenes Webdesigngrafikmarketingtwittercontentmanagement-Startup kennengelernt hast, von denen es hier in der Stadt erst 300.000 gibt. Alles Gute, Ingrid, die erste Lektion für die Hauptstadt hast du schon. Mach weiter so. Wir freuen uns auf dich.