Iggy Pop – Die Mumie lebt immer noch

Iggy Pop am Dienstagabend in der Zitadelle in Spandau. Er lebt immer noch. Und er sieht immer noch so aus wie vor 30 Jahren. Was nicht für den Iggy Pop von vor 30 Jahren spricht, aber für den von heute. Er hat sich damals offenbar irgendwie konserviert. Was er seinem Körper alles angetan hat, ist kaum zu begreifen und doch ist er heute fitter als manch anderer mit 30.

Die Vorgruppe mimt eine Band namens Pothead. Nie gehört, aber sie sind gut. Es ist schwerer, langsamer, monströser Rock, so filigran wie ein Bierfass. Aber gut. Routiniert runtergespielt. Ohne Spirenzchen. Ohne Gimmicks. Aber gut.

Grau. Sind sie. Viele der Zuschauer. Wohl schon seit den 70ern dabei. Heute nicht mehr so beweglich. Aber immerhin hier und nicht im Seniorenstift. Sowieso: Der Altersdurchschnitt ist enorm hoch. Für viele ist Iggy offenbar pure Nostalgie. Wie die Stones wahrscheinlich. Oder Die Ärzte.

Nostalgie. Für mich ja auch.

Und dann stürmt er wie ein Irrer auf die Bühne, Iggy Pop, mit dem guten alten „Raw Power“, dem Opener, dem Brett, dem Mitreißer. Und hinter ihm rocken die alten dicken Stooges. Großartig. Meine Güte, sind die alt. Und dick. Aber sie flashen die Zitadelle, die Veteranen, auch wenn sie sich nie so bewegen konnten wie es Iggy immer schon tat.

Der tanzt immer noch wie ein Derwisch über die Bühne, mischt sich unters Publikum. Holt einmal sogar Publikum auf die Bühne. Zwanzig. Dreißig. Zum Tanzen. Dreckigen alten Punkrock tanzen. Iggy ist Energie. Unbändige Energie. Urgewalt. Ein wildes Tier. Immer noch.

Ein Idiot sticht heraus. Während alle tanzen, kuschelt er sich auf der Bühne an den Künstler und fotografiert sich selbst mit seinem Handy, während dieser singt. Wieder ein Mensch, der Augenblicke nicht genießen kann, sondern sie ablichten muss. Einer der abdrückt und nicht lebt.

Sowieso die Displays. Gar nicht so viele zu sehen hier. Liegt wohl am Alter der Zuschauer. Die kennen so etwas nicht und machen es auch nicht. Die Unart, beim Konzert von unten auf eine Unzahl filmende Hände mit leuchtenden Displays zu starren und den Künstler nur noch zu erahnen, lässt mich inzwischen kaum noch auf Konzerte gehen. Doch hier ging es. Vier Hände, vielleicht fünf. Darüber muss man sich inzwischen freuen.

Iggy schert das nicht. Der fegt von einer Ecke der Bühne zur anderen. Einmal ist sogar Stagediving drin. Öfter aber bitte nicht. Der Mann geht auf die 70 zu. Iggy hin oder her. Nicht, dass noch was passiert.

Ich habe Gänsehaut. Fast das ganze Konzert durch. Iggys Musik berührt mich. Die Persönlichkeit Iggy Pop berührt mich. Mr. Charisma. Iggy Pop. Ein Rockstar. Eine Legende. Ein Getriebener. Alte Schule. Einen wie Iggy bringt diese zahnlose BWL-Jugend doch gar nicht mehr hervor. Die hört Mando Diao. Sunrise Avenue. Tomte. Madsen. Bosse. Sportfreunde Stiller. Studentenrock. Sozialpädagogengroove. Mülltrennermelodien.

Mich rockt ein Fast-70jähriger. Und nach dem kommt nicht mehr viel, was mich flasht.

Nach anderthalb Stunden ist Schluss. Zwanzig vor Zehn und damit zwanzig Minuten bevor er von Rechts wegen hätte aufhören müssen, weil die Zipfelmützen wie überall in der Stadt auch hier in der Zitadelle die Ruhe als erste Bürgerpflicht durchgesetzt haben.

Vielleicht hat er auch wegen des Gewitters aufgehört, denn zehn Minuten später geht die Welt in einer Orgie aus Sturm und Wasser unter.

Iggy Pop. Nassgetanzt laufe ich durch den Gewittersturmregen nach Hause und trinke Bier dabei. Die Gänsehaut nehme ich noch ein Stück mit. In diesem Moment ist alles in Ordnung. Glück.