
The Unholy Sprallo of Fitnessstudio steht seit zwei Minuten vor mir an der Schublade mit den Trainingszetteln. Und meditiert. Während er sein Blatt sucht. Ein Opa grätscht von der Seite an mir vorbei und stellt sich hinter ihn. Und vor mich.
Woran liegt das, dass Rentner im Vergleich zur übrigen Bevölkerung überdurchschnittlich oft drängeln? Sprechen wir es doch mal offen aus: Das penetrante Drängeln springt bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe so sehr ins Auge wie bei Rentnern. Was? Jugendliche? Nope. Meistens superfreundlich. Hab‘ ich nur eine Müllermilch in der Hand, darf ich an der Kasse vor. Wie? Türken? No way, voll nett, man muss sich fast mit denen streiten, wer wen vorlässt. Wer? Vietnamesen? Keine Chance. Traditionell zuvorkommend. Und die Prenzlmütter? Sogar die. Sie winken freundlich ab, wenn ich sie mit ihrer Packung Windeln vorlassen will. Haben Zeit.
Rentner nicht. Sie drängeln. Die meisten von denen. Ja, ich pauschalisiere, aber es stimmt. Sie latschen mit einer Selbstverständlichkeit an jeder Schlange vorbei, pirschen sich seitlich im Zeitlupentempo heran und stehen dann plötzlich vor einem. Und wenn man sie darauf anspricht, wollen sie schon die ganze Zeit dort gestanden haben und echauffieren sich über die Unverschämtheit der Verdächtigung. These: Menschen mit inadäquatem Sozialverhalten in Warteschlangen sind immer Rentner. Ernsthaft: Immer. Und bei uns im Studio gibt es viele von denen, also auch viel Drängelei. Doch ich bleibe stets ruhig und werfe den Klassiker in den Raum: „Gehen Sie ruhig vor. Sie haben ja nicht mehr so viel Zeit.“ Ich glaube, den erwarten die mittlerweile auch und wundern sich, wenn er ausbleibt.
Der Sprallo an der Schublade sucht, während ich diesen Gedanken nachhänge, weiter seinen Trainingszettel. Er findet ihn nicht. Er findet sich nicht. Er findet gar nichts, kommt aber auch nicht auf die Idee, die anderen armen Irren aus der von ihm produzierten Warteschlange vorzulassen, die ihre Zettel innerhalb von Sekunden finden würden, weil die im Gegensatz zu seinem da drin sind.
Hinter mir stehen jetzt zwei weitere Kunden, davon ein Rentner, der komischerweise nicht drängelt. Ich frage ihn, ob alles in Ordnung ist oder ob ich einen Arzt rufen soll. Man weiß ja nie.
Der Sprallo fragt jetzt in einem Anfall von Kreativität den Patientenbetreuer, wo sein Trainingszettel sein könnte. Es entwickelt sich ein längeres Gespräch, infolge dessen klar wird, dass der Sprallo gar keinen Zettel mehr hat, weil er zu lange geschwänzt hat.
Nach der Aufklärung des Geheimnisses um den Trainingszettel des Sprallos wird die Schublade tatsächlich freigegeben und der Drängelrentner stürzt sich darauf, als wäre das hier das Frühstücksbuffet eines jeden beliebigen Urlaubshotels, in dem Typen wie der mir schon morgens vor dem Kaffee das Karma versauen, in dem sie sich die letzten acht Vanillepancakes des Morgens auf den Teller knallen, die sie später dann nicht aufessen.
Vielleicht hat er aber auch nur Angst, ich könne kontern und seinen mühsam erkämpften Vorteil in der Schlange neutralisieren, indem ich meinerseits drängele. Nein, ich doch nicht. Chill, Dude, mach dein Ding, ich bin ganz ruhig, ich ruhe in meiner Mitte, mein Chakra ist integer, ich bin die Ruhe und die Kraft, ich Prophet des Zen.
Ach was, stirb doch, du Arschloch, du faltiges.
An den Geräten treffe ich ihn dann wieder, den Sprallo, meistens an denjenigen, an denen ich auch trainieren will. Da sitzt er dann und meditiert wieder. Er trainiert nicht, sondern scheint sich darauf zu konzentrieren, in den nächsten zehn Minuten unter Umständen sein Training fortzusetzen. Handtuch in der Hand. Augen geschlossen. Ich kann nicht an die Maschine. Und da sitzt er, ohne die Schlange zu bemerken, die hinter ihm wächst.
Ich wünsche mir manchmal auch solch eine Gemütsruhe. Man lebt viel besser damit. Scheiß auf alle anderen. Fuck Rücksicht. Ich seh‘ euch alle nicht. Es gibt euch nicht. Mein eigenes Ding mach ich hier klar. Ich kreise in meinem eigenen Kosmos. Ganz für mich allein. Piep. Piep. Blep Blep.