Die Narrenfreiheit von Prenzlauer Berg

Was sagt der Biopapa, der mich gerade mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig an einer Häuserecke über den Haufen gefahren hat?

„Aber ich hab‘ doch ein Kind dabei!“

Ich stehe wieder auf, klopfe mir den Staub des heißen Asphalts von der Hose während das Balg auf dem Gepäckträgerkindersitz grient. Was war das gerade?

„Aber ich hab‘ doch ein Kind dabei!“, sagte er wirklich.

Ach so, na dann ist das ja was ganz anderes, Sie haben Recht, mein Fehler, ich müsste eigentlich auf der Straße laufen, damit Sie sich hier mit Ihrem Fahrrad auf dem Bürtersteig entfalten können, bitte, fahren Sie mich nochmal über den Haufen, ich hab’s verdient, weil nicht mitgedacht, sorry, warten Sie, ich stell mich nochmal in Ihre Idealspur. Go.

Und überhaupt: Um Entschuldigung zu bitten ist völlig zu Recht total überflüssig geworden. Heute wird stattdessen ganz einfach auf die eigene Reproduktion hingewiesen. Denn damit darf man alles: Auf dem Bürgersteig rasen, Hauseingänge blockieren, Treppenhäuser und Innenhöfe zustellen, alleine fünf Tische im Café belegen und wahrscheinlich auch bei Rossmann Windeln klauen, auf die nächste Parkbank kacken oder auf der Stadtautobahn auf allen drei Spuren ein Picknick machen. Mit Kindern geht alles. Alles erlaubt. Wer wird sich denn entschuldigen? Im Unrecht? Konventionen? Gesellschaftliche gar? Aber nein, ich doch nicht, ich habe doch ein Kind. Ich darf das. Alles. Sehen Sie das nicht?

Ich mache das jetzt auch, ich binde mir mein Kind vor den Bauch und haue jedem aufs Maul, dessen Hackfresse mir nicht gefällt. Ich darf das ja. Ich habe ein Kind. Müssen die einsehen. Hallo?

Und was? Sie haben Vorfahrt? Ich bitte Sie, ich habe ein Kind vorne im Körbchen, was sagen Sie nun?

Oder ich laufe demnächst einfach an der obligatorischen Monsterschlange bei der Deutschen Post vorbei und stelle mich ganz vorne an. Ich darf das. Hab ja ein Kind gemacht. Schauen Sie mal, hier vor meinem Bauch hängt es. Lassen Sie mich durch, ich bin Vater!

Und vielleicht nehme ich in den Schönhauser Allee Arcaden einfach die ganzen überteuerten Klamotten von Hilfiger so mit ohne zu zahlen, wenn ich das will. Mein gutes Recht. Ich hab ja ein Kind vorm Bauch geschnallt. Ich darf das. Das müssen Sie doch einsehen. Ich reproduziere. Eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, mit der ich da betraut bin. Stören Sie nicht meine Kreise. Unterstützen Sie meine Mission!

Spaß, klar. Da ist er halt nur wieder. The ugly Prenzlauer Berg in Reinform. Egoterror im Harmoniebezirk. Vater bin ich zwar, aber dies offenbar nicht rücksichtslos genug. So geht es nicht weiter. Damit gerate ich hier auf lange Sicht komplett unter die (Fahr-) Räder. Ich muss besser werden. Muss auch Nabel der Welt sein. Muss mir mein Umfeld Untertan machen. Muss Ellenbogen ausfahren. Auf Kinnhöhe von Fahrradnazis zum Beispiel.

Memo an mich: Nachbessern. Du hast ein Kind. Sei der Mittelpunkt deines kleinen Universums. Du hast reproduziert. Dir gehört der Bezirk. Nimm ihn dir. Mobbe zurück. Mobbe zuerst. Denn das hier ist dein kleines Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.