
Schön, dass das Thema endlich in den Holzmedien von Berliner Kurier bis Tagesspiegel angekommen ist: Kita-Casting – die entnervende Suche nach einem Platz für den Zwerg.
Seit Jahren überschlagen sich die Medien mit Erklärungen, warum keiner mehr Kinder haben will und die Geburtenrate dieses Landes mit zu den niedrigsten in Europa zählt.
Und was haben sie nicht schon alles für Erklärungsansätze aus ihrem journalistischen Elfenbeinturm aufgeboten: Die einen haben den Feminismus als Ursache ausgemacht, andere das traurige Lohnniveau und wieder andere bezichtigen die nachwachsende Generation ganz einfach des Egoismus.
Vielleicht liegt es aber auch an der Bürokratie und der fürchterlichen Umständlichkeit, überhaupt eine Betreuung für den noch zu zeugenden Zwerg zu finden.
Man trifft ja in Berlin schon während der Schwangerschaft auf eine Wand der Ablehnung. „Kitaplatz? Hier nicht. Wir sind bis 2015 voll.“ „Nix. Hier nur Geschwisterkinder.“ „Vor 2016 wird das nichts.“ „Kommen Sie in zwei Jahren wieder.“
Und so rennt man von einem Casting zum nächsten, sitzt mit anderen Eltern wie ein Schulschwänzer beim Direktor und muss erläutern, warum man ausgerechnet in diese Kita will. In der Verzweiflung trägt man sich auf 30 Wartelisten parallel ein, von denen man später 29 wieder absagen muss, wenn sich tatsächlich eine Kita am Stadtrand irgendwo kurz vor Brandenburg erbarmt. Wie das eben alle machen, die hier mit Charme und Ellenbogen um die geneigte Aufmerksamkeit der diversen Kitaleiterinnen buhlen.
Sinn und Verstand sind in diesem ganzen Schauspiel leider ausverkauft, es regieren Willkür und Wahnsinn.Denn das Kita-Personal weiß um seine Macht, tritt oft entsprechend borniert auf und degradiert gerne mal fragende Eltern zu Bittstellern oder bürstet sie schon am Eingang wie schmierige Staubsaugervertreter ab.
Andere nutzen die Gelegenheit und verpflichten Interessenten zur künftigen Aufsicht über Kindergruppen, zu Heimwerkerarbeiten oder gar zum Putzen – gerne auch den angeschlossenen Second Hand Laden, wenn man schon dabei ist.
Und wenn man sich nicht immer mal wieder bei den 30 Kitas meldet, fällt man in Gunst und Wartelistenreihenfolge im direkten Vergleich zur elterlichen Konkurrenz, die einmal monatlich Klinken putzt, schnell hinten runter. Also vergeudet man die knappe Freizeit mit ständigem Hallosagen und sich immer wieder ins Gespräch bringen – stets in der verzweifelten Hoffnung, dass irgendwann doch noch ein Platz zum Stichtag abfällt, an dem der Chef einen wieder am Arbeitsplatz antreffen will.
Wer übrigens auf die Frage „Dieses Wochenende haben wir Sommerfest. Wollen Sie nicht beim Aufbau mithelfen, um uns schon mal kennenzulernen?“ mit der Gegenfrage nach dem Sinn kontert, wo das eigene Kind doch noch nicht einmal geboren ist, katapultiert sich selbst aus dem kompletten Verfahren und der eigene Antrag wird nie wieder die Sonne sehen. So ein Pech.
Wer hingegen Pluspunkte sammeln will, der heuchelt entweder Interesse oder unterschreibt gleich an Ort und Stelle für die zahlreichen kostenpflichtigen Zusatzangebote wie Polkatanzen, Fassadenklettern oder die Fremdsprachenausbildung Mandarin in Kombination mit Pidgin-Englisch und Urdu. Frühförderung, Sie verstehen?
Das Jugendamt ist in diesem Käfig voller Narren mitnichten eine Hilfe, sondern als weiterer Mühlstein um den Hals junger Eltern eine zusätzliche Belastung. Der Kita-Antrag ist auch für des Deutschen Mächtige nur schwer zu durchschauen und die Offenlegung der Einkünfte schlägt in ihrer ganzen bürokratischen Wurstigkeit meine Steuererklärung hinsichtlich der Gesamtzahl meiner Wutausbrüche um Längen.
Die legendären Wartezeiten auf dem Amtsflur des Bezirksamts mit einer Unzahl quengelnder Kinder, die noch genervter sind als ich, setzen dem ganzen behördlichen Trauerspiel die hässliche Krone auf.
Für diesen ganzen Popanz gibt es nach monatelanger Wartezeit einen Gutschein, der drei Monate gültig ist und innerhalb dessen man eine Kita überzeugen muss, das wie sauer Bier feilgebotene Kind auch tatsächlich zu nehmen.
Jeder der vielen möglichen Fehler in diesem ganzen feindlichen Bürokratenwahnsinn wirkt sich negativ auf die Bearbeitungsdauer des Bescheides aus und man lässt die Eltern in diesem ganzen kafkaesken Irrsinn völlig alleine und dumm vor sich hinsterben.
Prima, Deutschland, du bist wieder ganz du selbst, aber was wundere ich mich eigentlich: In Norwegen erhalten Familien kurz nach der Geburt ein Begrüßungspaket mit ein paar warmen Worten eines Repräsentanten des Staates, Gutscheinen, Hilfestellungen und Ansprechpartnern. In Deutschland bekommt das Kind kurz nach der Geburt als allererstes einen verquasten Bescheid vom Finanzamt mit der Steuernummer. Und dann kommt lange nichts mehr. Es ist eine logische Linie von Kaiser Wilhelm bis heute. Die Obrigkeit registriert den neuen Steuerbürger. Mehr muss nicht.
Wer das alles vorher weiß, überlegt sich das mit dem Kind zweimal.