
Ich nenne ihn nur noch den Morgenhonk. Den Zeitungsverkäufer am S-Bahnhof Greifswalder am unteren Ende der Treppe. Jeden Morgen irgendwann zwischen 5 und 8: Ich. Treppe runter. Verpennt. Schlurf. Schlurf. Schnarch. Schnarrt die Sirene: „Morgääääään!“ What the fuck – wen meint der? Ich sehe mich um, niemand sonst da, der meint wirklich mich, das gibt’s doch nicht. „Morgääääään!“. Jetzt glotzt er. Was will er nur? Bestimmt nur ein Einzelfall. Patient auf Freigang oder so. Schnell weg.
Neuer Morgen, gleicher Honk. Nur lauter.
„Morgääääääääään!“
Er will es wissen.
Alter, das ist Berlin, hier grüßt man keine anderen Leute, schon gar keine Fremden, ich kenn dich nicht, du bist mir egal, du kannst drei Wochen tot in der Wohnung liegen und die Nachbarn merken es erst, wenn du stinkst. Dann kommt die Feuerwehr, packt den Rest von dir in eine Mülltüte und die Putzkolonne desinfiziert die Bude für den Nachmieter. Das war’s. Das ist Berlin. Man ist anonym. So ist das hier. Und das ist gut. Niemand kennt mich, niemand interessiert sich einen Fick für mich, ich kann morgen tot umfallen und keinen juckt’s. Take it or leave it. Ich kenn dich nicht, ich will dich nicht kennen, ich will dich nicht grüßen. Nichts wie weg hier.
Doch sein Kampf geht weiter.
„Morgäääääää-häään!“
Fall tot um, Buddy, du wirst keine Zeitung zusätzlich verkaufen mit deinem penetranten „Morgääääään!“, das mich aus meinem Morgenschlaf reißt, während mein dämmernder Sack von Körper mit Autopilot Richtung S-Bahn steuert. Du wirst maximal erreichen, dass die Leute einen anderen Zugang zum S-Bahnhof nehmen, um dir aus dem Weg zu gehen, weil du ein Freak bist und ihnen Angst machst, indem du das Gebot der Anonymität ignorierst. Berlin. Großstadt. Metropole. Ich kenne nicht mal meine Nachbarn. Nur den Müllzettelnazi aus meiner Nachbarschaft, weil der Idiot seine Kackzettel immer mit Namen unterschreibt:
„Liebe NachbarInnen! Es hat schon wieder jemand CD-Rohlinge in die Biotonne geworfen, die gehören aber in die Wertstofftonne. Um Beachtung wird gebeten! Der Umwelt zuliebe! Die Hausverwaltung ist informiert. Mit nachbarschaftlichen Grüßen. Häberle.“
Morgenhonk, du verstrahlter, der du da stehst und dich offensichtlich so sehr langweilst, dass du Passanten auf den Sack gehen musst, die noch gar nicht richtig wach sind: Ich kenne niemanden und will niemanden kennen, dich am allerwenigsten. Geh nach Brandenburg. In irgendein Dorf. Dort kannst du dich auf einen Acker stellen und „Morgääääään!“ brüllen, so oft du willst, dann freuen sich wenigstens die Bauern, weil du die Krähen verjagst.
Bis dahin: Freakhonk. Morgenhonk. Herzlichen Glückwunsch.