Liebesgrüße aus Pjöngjang

Unterwegs irgendwo im Grenzgebiet zwischen Lichtenberg und Weißensee. Der Wind steht ungünstig, smells like Magensaft, von der nahen Schultheiss-Brauerei herübergeweht.

Was ist das denn?

Es scheint nicht die Botschaft von Nordkorea zu sein, zu wenig Grau, aber auch keine Filiale von Kaufland – es fehlt das Wellblech.

„Ich war noch niemals in Pjöngjang…“ summe ich vor mich hin als ein junger Mann mit Rucksack in das Gebäude schlurft. Kaum zu glauben, aber das könnte eine Schule sein. Hier im Nichts. Mit Justizvollzugsflair. Typisch Berlin. Willkommen im Elend. Dann lieber Knast.

Zu meiner Rechten Platte. Fast schon zu schön korrespondierend zum grauen Januarhimmel und dieser ganzen trostlosen Einöde. Blues.

Ich kriege schon vom Anschauen Skorbut. Hunger. Ich muss was essen.

Nur wo?

An diesem gottverlassenen Ort verläuft der sinnloseste Radweg der Welt.

Und selbst Glasbehälter setzen einen optischen Glanzpunkt.

Was isst man hier nur?

McDonalds. Natürlich. Keine Überraschung. Die sind überall, wo sie das Elend der Hungrigen abschöpfen können, dort wo jene sind, die nicht wissen was sie sonst essen sollen, weil es einfach nichts anderes gibt.

Oft findet man solche Orte in Brandenburg – in unmittelbarer Nähe zu Autobahnauffahrten. Da stehen dann die Jugendlichen in Gruppen in ihren immer viel zu kurzen Hosen mit Smirnoff Ice in der Hand vor ihren türkislackierten tiefergelegten Hyundais herum und feiern mit Landser aus der Bassrolle den Umstand, dass vorige Woche endlich der letzte Fidschi das Dorf verlassen hat.

Mich friert.

McDonalds. Es muss wohl so sein. Ab und zu muss ich Dreck fressen. Mein Kind frisst Erde direkt aus dem Blumenkübel, der Idiotenköter von nebenan frisst aufgeweichte Polenböller vom Trottoir, die so aussehen wie seine eigene Kacke, und ich gehe eben zu McDonalds. Ab und zu. Hilft ja nix. Aber auch nur, um mir danach zu versichern, dass das nie wieder tun werde.

So muss es Puffgängern gehen, die mal wieder völlig ausgedörrt eine Stange Geld für eine schale Nummer gezahlt haben und sich danach mit aufgestelltem Kragen an der Wand entlang aus der Tür schleichen, nur um in ein paar Monaten wieder hier zu sein, wenn sie genug vom Haushaltsgeld der Alten zuhause abgezwackt haben.

Was wird denn heute gegeben? 1955er-Burger für 4,95. Was soll das denn? Ist es die nackte Angst vor den ganzen Konkurrenz-Burgerbutzen, die überall in Berlin (außer natürlich in dieser Industriebrache, in der ich gerade sinnlos herumlaufe) aus dem Boden sprießen und die um Welten bessere Burger brutzeln können als McDonalds? Will man jetzt back to the roots? Arizona-Style? Cowboy-Romantik? Zurück in ein goldenes Zeitalter, in dem die Burger von McDonalds noch keine knautschigen Industriezombies aus der Retorte waren?

1955er-Burger, meine Fresse, der sieht schon auf dem Plakat so scheiße aus – her damit.

Und ja – er enttäuscht mich nicht.

Man verarbeitet im 1955er-Burger gedünstete Zwiebeln (glasig), was an sich eine gute Idee ist, nur hat man dem momentan in der Küche verheizten Minijobber vergessen zu sagen, dass die Zwiebeln (glasig) in den Burger gehören und nicht daneben. So sitzt der Fettklops in einer absurden grau-braunen Fangopackung aus zermatschten Zwiebeln (glasig) und lacht mich aus: „Haha du Depp! Wieder angearscht! Wieder voll in die Gülle gegriffen! Hier sitze ich mit meinem zerknautschten Brötchendeckel mit dem unverzichtbaren McFettfilm obenauf, sehe aus wie ein Verkehrsunfall und du Idiot hast auch noch 4,95 Flocken deines hart verdienten Monatslohns für mich hässlichen Mutanten abgedrückt. Und ich schmecke auch noch unendlich scheiße, wetten?“

Es ist immer etwas ungemütlich, von minderwertigen Lebensmitteln gedemütigt zu werden, also beiße ich in meiner Wut direkt in die Seite mit der ekelhaften Delle auf dem wieder viel zu matschigen Brötchen, in der sich eine bizarre klare Flüssigkeit gesammelt hat und – FLOTSCH! – ein fingerdickes Stück Tomate greift mich an, rutscht mein Kinn hinunter, ejakuliert Tomatensamen auf meinen Bart und bauchflatscht direkt auf den einzigen weißen Pullover, den ich besitze. Eiterfarbene Soße rinnt meinen Daumen herab, der Ketchup weicht derweil die Unterseite des Brötchens auf, um einem Stück Fleisch den Gleitflug auf den Fußboden zu ermöglichen während ein Stück Bacon meine Handfläche penetriert. Ich hasse die Welt.

Die schäbigen Reste dieses teuren Stück Nichts kleben an meinen Händen. Dieses Ding ist wie erwartet völlig unspektakulär, furchtbar soßenlastig, wie fast alles hier viel zu fettig, dafür gnadenlos geschmacksarm, wenn man von dem krampfhaften Versuch absieht, dem traurigen Klops so etwas Ähnliches wie ein Barbecue-Grill-Aroma zu geben, das so unverbrämt laborartig daherkommt, dass ich fast mit vollem Mund lachen muss, weil das so verrückt ist. Das können die unmöglich ernst meinen. Selbst der Bacon schmeckt für sich alleine nach nix, nicht mal nach Salz. Wie schafft man das? Und was soll das?

Die Paranoia flüstert hierzu ihre ganz eigene Antwort aus meinem linken Ohr: „Hey Truman, das alles hier ist eine völlig absurde Parodie auf sich selbst und irgendjemand filmt gerade aus einem Loch in der Wand deine Reaktion darauf, um eine Fernsehshow bei RTL 2 draus zu machen. Du brauchst unbedingt einen Aluminiumhut, der dämmt die Strahlung aus der Steckdose und sie können deine Gedanken nicht mehr kontrollieren.“

Das Ergebnis ist vorhersehbar: Ich habe danach immer noch Hunger. Natürlich. Von einem Burger bei McDonalds für 4,95 wird man nicht satt. Anderswo schon. Aber nicht bei McDonalds. Weiß jeder. Nullnummer. Eher Minusnummer, denn ich habe sogar noch mehr Hunger als vorher. Also suche ich mir eine Bimmelbahn, die mich zurück an einen Ort bringt, an dem McDonalds nicht das Monopol auf warme Nahrungsmittel hat und esse etwas Vernünftiges für vernünftiges Geld.

Nie wieder.

Natürlich.

Bis(s) zum nächsten Ma(h)l.

(haha wie lustig)

Ich wünsche mich nach Pjöngjang. Die müssen da so einen Scheiß nicht essen wie ich in der Hansastraße in Weißensee.


Es ist ein Text aus 2012, den ich hier von der Festplatte gefischt und verwurstet habe. War irgendwie zu schade zum Wegschmeißen und Pjöngjang ist ja auch wieder aktuell momentan.