Am Arsch der Revaler. Simplonstraße. Technostrich. Fast Ostkreuz. Boomtown Ostkreuz. Lovelite. Schön, dass es solche Orte innerhalb des S-Bahn-Rings überhaupt noch gibt, solche, die zeigen, wie Berlin in Mitte und Prenzlauer Berg vor ganz vielen Jahren mal war: Ein dunkler Ort, ein lebender Ort, cool bis unter die Hutkrempe, verwinkelt, immer provisorisch mit der Aura eines schwarz angestrichenen Geräteschuppens, der schon Napoleon hat vorbeiziehen sehen.
Er wird am Leben gehalten von studentischen Hilfskräften, die hier ausnahmsweise einmal nicht die affektierte Arroganz ihrer Kommilitonen nachäffen, die im Mitte von heute Karten abreißen dürfen.Puh.
Ich merke, dass ich älter werde, wenn ich den Altersdurchschnitt alleine durch meine Anwesenheit um ein paar Jahre anhebe und im Münzfach meines Geldbeutels meine Ohropax versteckt halte, die ich mir vor dem Konzert verschämt in die Ohren quetsche, weil ich Angst habe, dass das tagelange Fiepen irgendwann doch diejenigen nachhaltigen Folgen haben wird, vor denen mich meine Eltern immer gewarnt haben und die mich bis vor ein paar Jahren noch kalt ließen.
Auch rätsele ich verwundert, ob denn der kleine dürre milchbubiartige Schlagzeuger der Vorband überhaupt schon volljährig ist, stehe mit Rücksicht auf die lädierten Bandscheiben einige Meter entfernt vom Moshpit und betrachte die pogende Meute, deren Bestandteil ich bis vor kurzem selber noch war.

Seufz. Und vor allem brauche ich Luft. Sauerstoff. Und genau der ist bei einem ausverkauften Konzert im Lovelite innerhalb von zehn Minuten weg und kommt auch nicht wieder, zumindest nicht vor Morgengrauen. Es wird gnadenlos heiß, stickig und ich freue mich, dass das Rauchverbot konsequent ignoriert wird, so dass ich den Schweiß derjenigen nicht riechen muss, die sich glibbernd und Spuren ziehend an meinem Unterarm entlang glitschen.Je länger die schlechten Vorbands spielen, desto lieber wäre ich jetzt im Bett. Heizdecke an. Warmer Kakao auf dem Nachttisch. Keksmischung in der einen Hand, Fernbedienung in der anderen. Und auf Phoenix eine Doku über Hitlers Kampf im Osten zum Einschlafen.

Ächz. Und als ich dann doch durchhalte und nach dem gelungenen Hauptact und mehreren After-Show-Whiskys mit dem ebenso alten Barkeeper gegen Morgen Richtung S-Bahn schlendere, fallen mir die vielen eklig-kalten Neubauten auf, die hier momentan in die Landschaft erbrochen werden.
Dann frage ich mich, wie es wohl in ein paar Jahren um solche Orte wie das Lovelite, das benachbarte Rosis oder die anderen Clubs auf dem Technostrich bestellt sein wird, wenn sie schließlich die letzten verbliebenen Brachen in dieser Top-Lage darstellen und damit die unvermeidlichen Begehrlichkeiten wecken.Man wird dann weiter wandern, schätze ich, von Friedrichshain nach Neukölln wie man schon von Prenzlauer Berg nach Friedrichshain gewandert ist. Neukölln hat noch viele Brachen, die gerne besetzt werden wollen und wenn auch Neukölln irgendwann mit Eigentumswohnungen planiert ist, werden wir uns wohl alle in Lichtenberg, Hohenschönhausen oder Marzahn zum Konzert treffen.
Ich dann mit natürlich Gehhilfe, orthopädischen Schuhen und dem Zivi von der Senioren-Ausgangsbetreuung. Aber ich werde da sein.
Lovelite
Simplonstr. 38-40
10245 Berlin