Die grauen Wolken thronen über den Plattenbauten. Es zieht hier. Immer. Auch wenn es windstill ist.
Im Winter sticht der Wind spitze Eisnadeln ins Gesicht – im Verein mit der Optik nur schwer zu ertragen. Borderline.
Der Abfertiger von der S-Bahn sieht aus wie Gaddafi, das gleiche Säufergesicht, nur ohne Lametta an der Brust und ohne Sonnenbrille, dafür mit anachronistischer Uniform und rotem Bundeswehr-Barett. Ich verstehe ihn nicht. Wie Gaddafi, den verstehe ich auch nicht. Weil der tot ist. Wie der S-Bahnhof im Eiswind. Der ist auch tot auf seine Art. Nach Birkenwerder zrrrrrrckblablllll. Lalü.
Das war mal der gottverlassenste Ort der Hauptstadt, hier war nichts außer der Ruine eines alten Schlachthofs, graue Platten und der Wind, der ewige Wind. Mondlandschaft, man hätte Armageddon II dort drehen können. Heute blinkt und leuchtet es. Billboardleuchten. Jeder will verkaufen. Baumarkt, Penny, Möbel, Kaufland, Küchen, Fachgeschäft.Oder Townhäuser, eines neben dem anderen, unterscheidbar nur in der Farbe, zwei zur Auswahl, blau oder weiß, immer im Wechsel, welcher Townhouse-Typ bist du?
Stadtrauschen. „Interesse an der neuesten Ausgabe der Straßenzeitung?“, „Zwischen Treptower Park und Sonnenallee besteht Schienenersatzverkehr.“ Besteht, Besteht und Besteht. Deja vu. Jeden Tag wieder. Nie wurde er eingerichtet. Er besteht immer. Wie ein Naturereignis, für das niemand was kann.Das übliche menschliche Inferno: Ein Glatzkopf brüllt in sein Telefon. Ein Bildungsverlierer spielt Bushido auf dem Brüllwürfel. Ein Krawattenmörder rennt nach der S-Bahn, er verfehlt und blökt. In fünf Minuten kommt die nächste. Klein. Und kariert.
Die Straßen sind wie neu. Keine Schlaglöcher. Weil hier kaum Autos fahren. Wenn, dann: Hinfahren. Kaufen. Wegfahren. Schnell. Reine Konsuminsel fern vom Leben. Eine der Straßen hat man „Neue Welt“ genannt. Schön.Es zieht wieder. Der Eiswind ist da. Ich stelle den Kragen senkrecht. Die Plastiktüte reißt ein. Zeuge meines Konsums. Ich muss weg hier.