
Herr Stahlmagen geht essen. Er ist sehr eigen, er möchte möglichst schlecht essen, um im kulinarischen Stahlbad zu testen, ob es die Magenwand in ihrem Alter noch bringt. Das fällt ihm in Berlin, der Stadt, in der er wohnt und die er aus irgendwelchen perversen Gründen liebt, immer sehr leicht.
Steakhaus Silverado in Friedrichshain. Sieht schon von außen fürchterlich aus. TexMex-Schrott meets Instantpizza meets 50%-Rabatt-Steaks.
Herr Stahlmagen ist guter Dinge und freut sich. Und so läuft in Herrn Stahlmagens degeneriertem Hirn ein potthässliches Nummerngirl ohne Zähne, dafür mit Elefantenohren und eingewachsenen gelben Fingernägeln, von denen die prekären bunten Plastikschaufeln schon abblättern, durchs Bild – in der Hand ein Schild: „Pizza“.
Eine Pizza kostet hier irgendwas um die 4,90 € und ist nach fünf Minuten fertig. Das sagt eigentlich schon alles. Ein Blick von oben auf grünes Gestrüpp lässt nur vermuten, dass sich darunter noch Pizza mit dem angepriesenen Parmaschinken befindet. Man wünscht sich neben Messer und Gabel eine Heckenschere, um den Rucola-Dschungel zumindest teilweise zu roden. Oben auf dem Rucola befindet sich Sand … viel Sand … oder … was zum Teufel … Himmel nein! Es ist Parmesansimulation aus dem Streuer! In Massen – ein wahres Sandgebirge, ein Ungetüm, ein Overkill, man möchte pusten, staubsaugen, alles wegwedeln, aber bestimmt nicht reinbeißen. Hat jemand eine Schaufel? fragt Herr Stahlmagen. Bagger vielleicht? Knirsch. Sand im Mund. Knirf. Knarf. Da haben wir wohl irgendwas mit dem Parmesan falsch verstanden. Hart. Hart wie der gegrillte Schinken auf dem Teig aus der Teighölle – ein Schinken im Übrigen, der gar kein Parma ist, sondern durchwachsener Billig-Tiroler mit viel Fett. Uargh. Hardcore.
Aber noch lange nicht schlecht genug. Noch ein Nummerngirl läuft durch den kranken Geist von Herrn Stahlmagen, noch hässlicher als die vorige. Hat sie nur ein Auge? Und das auch noch auf der Stirn? Und was hängt ihr da Graues aus dem Mund? Zunge? Ein Stück Schweinedarm? Auch sie trägt ein Schild: „Espresso“. Der Espresso kostet entweder nichts oder nicht viel, das ist bei der hoffnungslos intransparenten Preisgestaltung mit den schreienden 50%-Aufklebern an der Fensterscheibe, von denen nie klar ist, wann und für was sie eigentlich gelten, nicht genau auszumachen und eigentlich auch egal, denn er ist nur ersteres wert. Nach dem ersten Schluck kommt der Wunsch auf, man hätte vorher ein paar Meter weiter bei Netto eine Büchse Kaffee-Instantkrümel gekauft und dann hier einfach um ein wenig heißes Wasser gebeten. Ein spontaner indianischer Beschwörungstanz um den Tisch herum, damit die Magenwand dem Angriff standhält, verhindert Schlimmeres.
Aber das ist alles noch nicht schlimm genug für diesen einen Besuch. Herr Stahlmagen ist mit sich und der Welt unzufrieden. Doch plötzlich setzt Musik ein: Cantaaaaare! Ooooooh! Volaaaaaaare! Ooooooh! Nell Blu! I bin so wie du! Felice! Di stare bla blu! Volltreffer. Herrn Stahlmagen ist nun endlich richtig schlecht und Freude kommt auf.
Wochen später. Wieder hier. Neuer Tag – neues Pech. Nun läuft ein Cowboy durchs Bild. Wieder erschaffen im verfaulten Hirn von Herrn Stahlmagen. Der Cowboy ist noch hässlicher als die beiden Nummerngirls zusammen, irgendein Ekzem wächst ihm an der Backe und eine Warze mit drei Haaren sitzt auf seiner Nase wie ein fetter schwarzer Frosch. Er grinst mit seinen schwarzen Zahnstümpfen und wackelt mit Hintern, Schultern und einem verrosteten Blechschild, auf dem steht: „Steak“.
Herr Stahlmagen freut sich auf ein möglichst kaputtes Stück Fleisch. So viel Vorfreude muss belohnt werden und deshalb behandelt man das Fleisch hier schlechter als irgendwo anders je gesehen. Es sieht mit seinen fjordgleichen Ausbuchtungen aus, als habe es irgendjemand mit großen Fangzähnen direkt aus der Schulter eines schon senilen Rindes gebissen und es schmeckt, als wäre dies auch schon eine ganze Weile her gewesen.
Um ihm noch den Rest zu geben, hat man es mit grobem Paprikapulver großflächig eingerieben und erst danach in eine fragwürdige Pfanne geworfen, wonach das Pulver den unvergleichlich intensiven Geschmack eines vollen Aschenbechers entwickelt und sich Herr Stahlmagen immer wieder schwarze kleine Kohlestückchen aus den Zähnen pulen muss, die er an die weiße Wand zu einem Muster zusammenschnippt.
Der intensiv-säuerliche Abgang des mißbrauchten Fleisches ist da nur der finale Tritt in die Magengrube und ein Horror, der noch jahrelang im Gedächtnis haften bleiben wird.
Dazu werden ungesalzene halbgare Tiefkühl-Pommfritz und ein paar traurige Stifte Fertigkarottensalat auf einem Eisbergsalatblatt gereicht. Flashback: Autobahnraststätte Seesen/Harz 1986. Herr Stahlmagen als kleines Kind. Auf dem Rücksitz eines verfaulten VW Golf. Eine verfaulte Bratwurst mit Fertigkarottensalat auf Plastikteller.
Und weil sich Herr Stahlmagen gerade so richtig schön scheiße fühlt, dröhnt aus den Boxen auch noch ein tolles Lied: Felicita! En tenersi pa mano Grana Padano e felicita!
Yeah, rock me baby, gib’s mir richtig, denkt Herr Stahlmagen, während ihm der Magensaft in die Backentaschen spritzt.
Auf ein drittes. Wieder hier. Same shit – different day. Herr Stahlmagen bemerkt an diesem weiteren Tag seines Kreuzwegs nur noch resigniert und ganz am Rande den seinem völlig paralysierten Geiste entsprungenen dicken Bauarbeiter mit Achselnässe, Dreifachkinn und Mettresten zwischen den Zähnen, der auf ein Stück altem Klopapier das Wort „Buhriehto“ gekritzelt hat und völlig unmotiviert einen kleinen stümperhaften Stepptanz zum Besten gibt und mit einer ungelenken Verbeugung seine speckige Schiebermütze zieht, bevor er sich im seit Tagen nicht mehr gewaschenen Schritt kratzt, an seiner Hand riecht und Land gewinnt.
Der darauf folgende Burrito sieht aus wie etwas Überfahrenes auf der Autobahn und schmeckt … es gibt keine Worte in keiner Sprache dieser Welt für sowas. Das ist ein tolles Lokal, denkt sich Herr Stahlmagen, nachdem sich zuletzt ein Schwall Ramazottis „Se bastasse un bella Calzone“ aus den uralten Boxen erbricht und endlich das langersehnte Sodbrennen einsetzt. Ich habe die Grenzen meiner Belastbarkeit erreicht, freut er sich, und mein Leben mit diesen drei Mahlzeiten um mindestens drei ganze Monate verkürzt. Hier will ich noch mal her, dann können sie zu Ende bringen, was sie angefangen haben. Geisterbahn. Tour de Sade. Kulinarisches Bootcamp. Hier hasst jemand Essen. Mit Leidenschaft. Echt toll. Morgen nochmal. Unbedingt. Und so begrabt denn mein Hirn an der Biegung des Flusses, wenn die Magenwand endlich durchgebrochen ist.
Steakhaus Silverado, Modersohnstraße 58, 10245 Berlin