Flashback Januar 2010. Ich bin caputh. In Caputh. Caputher Seelauf. Allein schon des Namens wegen musste ich mich anmelden. Kaputter Seelauf. Im Januar. Das können nur Kaputte machen. Ich bin caputh.Die Ankunft am Bahnhof Schwielowsee (das Caputh hat man sich hier gespart, wahrscheinlich wegen der Lachkrämpfe der Durchreisenden) gestaltet sich as depressive as possible.
Die Jugend hinterlässt hier ihre existenzialistischen Hilferufe.
Ich weiß was sie meinen. Ich warte immer auf die S-Bahn, woanders wartet man auf Godot und in Caputh eben auf Einstein. Aber Einstein ist tot und ich will wieder nach Hause.Das geht aber nicht. Ich habe groß angegeben wie ein Bonzenkind in Papas Cayenne, dass ich heute hier im Tiefschnee einen Wettbewerb laufe, also muss ich in die Mehrzweckhalle zum Umziehen. Kneifen gilt nicht.
Nicht viele wollen im Januar einen 10 Kilometer-Lauf machen. Und schon gar nicht in Brandenburg im Wald. In der Tundra. Im Schnee. Ich jedoch schon und komme mir dabei vor wie der Erstbesteiger des K2 oder Amundsen am Südpol, nur ohne Pinguine.Mehr als 200 Teilnehmer sind das wohl nicht, verdamm mich doch, bei so wenig Startern kann man nur schwer untertauchen, sollte es nicht rund laufen.
Zuerst sorgen ein paar versprengte Walker für Belustigung und tun so, als betrieben sie Sport.
Dann startet ein Häufchen Verwegener für die 10 Kilometer.
Ich starte wie immer ganz hinten, das gibt mir das gute Gefühl, auf den ersten Metern eine Menge Leute zu vernaschen, die langsamer sind als ich. Würde ich vorne starten, würde ich bei jeder Sportskanone, die mich dann zwangsläufig überholt, vor lauter Gram immer langsamer werden und irgendwann stehenbleiben, in die nächste Kneipe gehen und mich besaufen. Also gilt: Hinten starten ist gut fürs Ego.Peng.
Startschuss. Es geht sofort los. Alle rennen. Was zum … ist denn hier…? … kennt man gar nicht von Berlin. In der Hauptstadt steht man nach dem Startschuss erst mal zehn Minuten dumm rum, bis man in der trägen Masse aus Hausfrauen, Bierplautzenkönigen und den verkappten Walkern, die keine sein wollen, langsam mal missmutig losschleichen kann. Hier nicht, ich bin überrumpelt, überrascht, kalt erwischt und tatsächlich Letzter auf weiter Flur. Mit drei Metern Abstand zum Vorletzten – und das in den ersten zehn Sekunden. Heldenkinder. Was geht denn hier?
Die Straße ist vereist, aber gestreut. Nach etwa einem halben Kilometer geht es rechts in einen Feldweg. Der um den See herum führt. Und der ist nicht geräumt. Meine Asics-Asphalttreter versinken bis über die Knöchel im Schnee. Au fuck, das geht so nicht, so kann kein Mensch laufen, da muss doch einfach bald wieder geräumt sein.
Ist nicht.
Die volle Distanz um den verfickten See herum nur Tiefschnee.
Das ist kein Laufen, das ist Schneestapfen.
Krass.
Krank.
Caputh.
Ich überhole nach mehreren Kurven und Hügeln, die mir vorkommen wie der verdammte Himalaya, endlich auch mal den alten Opa der optischen Altersgruppe M110, der bisher Vorletzter ist. Gottgütiger, ist das anstrengend, ich hechel wie dieser potthässliche Kampfhund, der mich im Bürgerpark Pankow immer durchs Unterholz jagt, wenn er mich sieht. Das wird doch nix, wie komm ich aus der Nummer ohne Gesichtsverlust raus?
Gar nicht.
Durchziehen.
Weiter.
Krass.
Krank.
Caputh.
Fuck.
Boar, erschieß mich doch, notschlachten, ich hab ja gar keine Chance, das sind doch alles von Ostzeiten übergebliebene Laufwunder, Dopaminmonster, Langstreckenmeditierer, drahtige Gazellen, die im Schnee nicht mal einsinken sondern da irgendwie drüberschweben wie Elfen. Jetzt reicht’s, ich lass mir doch nicht von denen den Schneid … FUMP! liege ich auf der Fresse, ein Opa M95, den ich eben mühsam überholt habe, hilft mir auf und rennt mir wieder davon. Das ist doch irre, und davon zwei verdammte Runden? Von dem Wahnsinn? Was ist das hier? Volksjugendsportcamp der FDJ? Ein gottverdammter Olympiastützpunkt?
Kämpfen, Alter, kämpfen, nicht abkacken, nicht hier, nicht in Brandenburg, murmel ich vor mich hin und überhole zwei 10jährige Zwerge, einen bebrillten Nerd mit Gehfäden statt Beinen und eine mollige Mittvierzigerin mit Beinen wie Traktorreifen. Und immer wieder Opas. Meine Güte, was haben die hier für eine Alterspyramide? Steht die auf dem Kopf? Und die sind alle auch noch so schnell, wenn das mal nicht noch der Elan vom Jungsturm an der Ostfront ist. Respekt! Wenn die mal tot sind, müssen die Abdecker ein Laufrad in den Sarg einbauen, sonst beschweren sich die Würmer über das ständige Bollern der Beine an die Sargwand und rufen die Polizei. Besser man stellt die gleich nach dem Abnippeln wie Windräder zur alternativen Energieerzeugung im Garten auf. Für die Energiewende. So schaffen wir die locker. Irre Typen. So alt. Und so schnell.
Es ist glatt, arschglatt, weil die 7/8 des Feldes, die sich jetzt noch vor mir befinden, den ganzen dicken Schnee zu einer verfickten Rutschbahn breitgetreten haben, ich kämpfe trotzdem, verdammt ich brauch Spikes, hab ich aber nicht, egal, weiterkämpfen, hier wieder ein Nerd, hier wieder ein Kind, hier wieder fünfzehn Opas, die aussehen als hätten sie Reichspräsident Ebert bei seiner Amtseinführung noch die Hand geschüttelt.
Krasse Konkurrenz hier bereits auf den hinteren Rängen – in Berlin vernascht man am Anfang normalerweise erst einmal ganze Armeen Hausfrauen, besoffene Junggesellenabschiede, Wettverlierer, verkleidete Hofnarren, Gruppen von watschelnden tratschenden Sekretärinnen, Bierwannenträger, Lungenkrebskandidaten und vor allem die vielen Walker, die gar keine sein wollen und da mitlaufen wofür sie zu langsam sind.Aber das wird schon. Schmerz ist auch nur ein ein Gefühl. Zähne zusammenbeißen. Ackern. Kämpfen. Schneestaub fressen. Der iPod spielt eine Ballade von Soap&Skin. Arschloch, spiel Rammstein, Pro-Pain, Hatebreed, Mudvayne, Soulfly, DevilDriver, irgendsowas, Hauptsache Hassmusik, Penner. Fuck you. Gib mir Adrenalin.
Daraufhin spielt er Massive Attack. Persephone. Röyksopp. Und dann Leonard Cohen. Und weil die Beine noch nicht schwer genug sind die Moldau von Smetana. Was für ein Sadist.
Bei den Klängen von Johnny Cashs „Hurt“ glaube ich an ein Komplott und beschließe, den verdammten iPod nach dem Rennen feierlich in Beton zu gießen und in der eiskalten Havel zu ersäufen. Aber ich bin froh, das er mich nicht auch noch mit James Blunt oder Silbermond quälen kann, weil ich mir eher die Ohren abschneiden und mit etwas Tabasco aufessen würde als ihm das auf die Festplatte zu spielen.Finish. Ich bin durch. Zu den Anfangsklängen des fantastischen aber hier motivationsmäßig völlig ungeeigneten „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin laufe ich im Ziel ein.Scheißzeit gelaufen. Unwürdig. Es reicht nicht mal für die erste Hälfte der Ergebnisliste. Die beste Frau der Welt, die am Ziel gewartet hat, ist natürlich trotzdem stolz. Ich nicht. Ich schäme mich und will nach Hause. Weg hier. Weg aus Kaputt. Bin caputh.
Und so ziehe ich meine Kommunistenmütze tiefer ins Gesicht und schleiche zurück zum Zug nach Berlin. Rache ist Blutschande. Ich komme wieder.
Aber nur, wenn kein Schnee liegt.
Irgendwann.
Dann mach ich euch platt.
Nur nicht dieses Jahr.
Nächstes Jahr.
Vielleicht.