
Wieder mal Mitte. Die Münzstraße zeigt schon mal, wohin die Reise in Prenzlauer Berg geht: Carpaccio vom Gamsfilet, leere Boutiquen mit drei feilgebotenen Oberteilen ohne Preise, Bread & Butter – Headquarter, Eco-Store-Company, gelangweilte reiche Mädchen sitzen gelangweilt vor irgendwelchen teuer aussehenden Friseursalons rum, Yogaschilder, die nobler aussehen als die Breitlings an den Händen der vielen Anzugsträger dieser Straße, die zwischen chinesischen Touristen und ihren irrwitzig großen Shopping Bags vom Converse-Store hektisch wichtig eilig vorbeihetzen und erwarten, dass man ihnen ausweicht, ihnen, den Entscheidern.
Nobelfassaden meets Glitzerschaufenster meets Glaskastenkälte meets Schnösel. Be stupid – go shopping.
Mittendrin ein uralter Kiosk, Optik wie Nachwende, Neonlicht, Gitter vor den Fenstern, vollgestellt, wuselig, kramig, der alles hat – sogar eine Packung Taschentücher für mich – und betrieben wird von tapferen Vietnamesen, wem sonst, kein anderer würde hier so etwas betreiben. Einen Kiosk – ich bitte Sie! Taschentücher für 70 Cent. Lohnt doch nicht! Rechnet sich doch nicht! Bringt doch die Miete nicht rein.
Unsere Vietnamesen in Berlin, ich bewundere sie für das, was sie tun. Kleinkredit, Leben am Limit, Selbstausbeutung, kleine Margen, Fleiß, Fleiß, Fleiß und doch wieder Nettoverlust, Schmerzlosigkeit, ein einsamer Kampf in Berlins Mitte, Prenzlauer Berg oder sonstwo inmitten des Reichtums anderer.
Ein alternder Punk, lädiert, abgerissen, gestraft von den Geistern, die ihn verfolgen, und vom Alkohol, der sein Gesicht rot-blau gezeichnet hat, mit Gipsbein, kauft ein Sternburger. Was will der hier? Was will der Kiosk noch hier? Es ist ein weiteres kleines Gefecht inmitten der vielen kleinen letzten Rückzugsgefechte in Berlins Mitte, Extreme dicht an dicht, Schickeria-Schickimicki neben dem alten Ranz, der jedoch einer nach dem anderen ausgeschaltet wird, auf verlorenem Posten kämpft – bis zur Räumung. So lange bis irgendwann nur noch Schickimicki vor sich hin ödet und ein Flair herrscht wie in der Friedrichstraße, wo Hauptstadtkorrespondenten mit Politikern in der Inzestsuppe schwimmen und Meinungen bilden, für die sich schon lange kein normaler Mensch mehr interessiert.
Der alternde Punk hinkt an den aalglatten Schaufenstern mit den Oberteilen ohne Preise vorbei Richtung Alexanderplatz, Sternburger in der Hand, ein kleines Glück im Nieselregen, der gerade so passend einsetzt wie selten. Es gibt kein traurigeres Bild an diesem Abend, nirgendwo. Schwer, überhaupt ein traurigeres Bild zu finden.
Ich gehe in die andere Richtung. Zum Münzsalon. Privat. Nur auf Einladung. Exklusiv. Mitte wird mir so fremd, immer fremder, aber heute spiele ich mit, heute mische ich mich unter, heute bin ich einer von ihnen. Ein Snob. In einem Salon. In Mitte.
Münzsalon
Münzstr. 23
10178 Berlin