
Ich will neue Chucks. Also die Geilen. Die Edlen. Die Weißen. In Leder. Die Limited Edition exklusiv für Foot Locker. Snobistischer Punkrock sozusagen.
Prenzlauer Berg. Ausverkauft. In meiner Größe ausverkauft. Als einzige Größe. Alle anderen gibt es noch, meine unheimlich seltene Größe 44,5 nicht mehr. Irre, ist mein Tag heute. Der hippe freshe Foot Locker Licker Lafer Lecker telefoniert sich durch Berlin und überrascht mich mit der Nachricht, dass Neukölln, Karl-Marx-Straße, noch ein Exemplar hat.
U-Bahnhof Karl-Marx-Straße. Neukölln.
Völlig ausgehungert jette ich den Bahnsteig entlang, ein bierbäuchiger bärtiger rumänischer Wanderziehharmonikatrompetenspieler stellt sich mir in den Weg und will mein Geld, ich täusche rechts an und schlage dann den Haken links, alte Routine, verlernt man nie.
Ich atme tief ein, endlich wieder Neukölln, Siff, Grind, Schorf, zerstörte Träume. Wenn man aus Prenzlauer Berg kommt, ist man immer so ausgehungert nach dem echten Leben, dem kaputten, schiefen, gebrochenen, dem Leben jenseits von pastellfarben angemalten pilatesschwangeren Altbauten und fair gehandelter von Pekip-Kindern selbst besungener Biokresse aus Feldenkrais-Feng-Shui-Waldorf-Dachgeschoßwohnungen. Argh.
Delirium. Völlig angefickt rase ich in den Foot Locker.
„Haadcchchzzzpfchucks!“ und schnaufe wie eine Krebslunge.
„Ich will die Chucks“ soll das heißen, jeder Blinde würde das sofort spüren, denn ich rieche schon ganz streng vor Aufregung und schwitze wie ein Olm, so geil bin ich auf die weißen Chucks in meinen zittrigen Händen. Der Verkäufer wittert Blut, erfasst die Situation in Hundertstelsekunden und schaltet sofort um auf Verkäufermodus nebst Über-den-Tisch-zieh-Turbo. Die Chucks hat er ja schon an mich verkauft ohne was dafür zu tun.
„Sie brauchen dieses Pflegegel, sonst geht Ihnen das Leder von den Chucks kaputt. Ist auch gut zum Reinigen, wenn die mal dreckig werden.“
Oh nein, denke ich, die guten Chucks, eben noch gekauft und morgen schon zerfetzt, die ledrige Haut eingerissen, alles tot, unbrauchbar, das Ende ist nah, sie werden alle sterben.
„Weiß wird ja auch so schnell speckig und dreckig, das kriegen Sie mit dem Gel weg dann.“
Ich taumele.
„Na, wenn Sie schon 79 Euro für die Chucks ausgeben, sollten Sie auch 7,99 in das Pflegegel investieren. So haben Sie länger was davon.“
Er zieht die Daumenschrauben an. Ich habe Schmerzen bei dem Gedanken, dass meine Knauserei schuld am Leiden und schlussendlichen Tod meiner neuen Chucks sein wird…
„Wär ja wirklich schade drum um die schönen …“
Ich falle. Was kostet die Welt, ich kämpfe gar nicht erst sondern knicke gleich ein, kapituliere, strecke die Waffen und kaufe das gottverdammte Gel.

Es ist scheiße.
Man muss die Bürste vorne auf den Schuh draufdrücken, damit was rauskommt, also das Gegenteil davon, was die Intuition sagt, die sagt nämlich „Hintendraufdrücken wie bei einer Zahnpastatube“ – aber da passiert gar nix und es kommt nur was raus, wenn man ganz fest draufdrückt, so dass man ein Bürstenmuster im Leder hat. Kacke. Das ist doch krank. Saubermachen tut das Ding auch nicht, es verschmiert den Dreck über die ganze weiße Fläche auf der man rubbelt und trocknet dann schnell an. Scheißdreck. Und dann braucht man Küchentücher und Wasser um den ganzen Schmadder wieder von den Schuhen zu bekommen.
Und auf meiner Schulter sitzt ein kleines Arschloch und lacht mich aus: „Wasser und Küchentücher. Haha, das hätteste auch billiger haben können. Wasser kommt aus dem Wasserhahn – deswegen heißt der so – und Küchentücher hängen an deiner Wand, haha, damit gehen Schuhe prinzipiell auch sauber, für umme, hohoho, ganz ohne 7,99 für ein sinnloses Gel! Die lachen sich da bei Foot Lafer Lichter Lecker bestimmt noch die nächsten 200 Jahre über Dich tot und hängen sich ein Porträt von Dir in den „Depp des Jahres“-Rahmen auf das Klo und jeder darf seine Popel auf dich schmieren. Du bist so blöd dass meine Arschritze pfeift.“
Und ich kann nicht einmal was dagegen sagen, es hat ja Recht, das kleine Arschloch auf meiner Schulter. Gier frisst Hirn frisst Portemonnaie, so ist es nun mal.