
H&M, Klamotten, Schönhauser Allee Arcaden, Prenzlauer Berg
Hallo Hennes, hallo Mauritz,
wann genau seid ihr eigentlich uncool geworden? Irgendwann so um den Millennium-Hype herum, oder?
Ich erinnere mich noch genau an Ende der 90er, als jeder Hipster und Pseudo-Gockel, der was auf sich hielt, sich mit Klamotten von euch quer durch die Bank eindecken musste, um was zu gelten in der aufkeimenden Szene. Jeder dämliche Strickpulli, jedes noch so spießige Karo-Hemd unter der Cordweste war plötzlich cool und nicht mehr wie früher das Alleinstellungsmerkmal des Klassenstrebers von der Jungen Union, den man in der großen Pause immer mit dem Kopf zuerst in der Schulkloschüssel versenkt hat.
Und Flanell – plötzlich war auch noch Flanell cool. Gott, Flanell, dieses abgeranzte von alten 68er-Pseudopädagogenlutschern verunstaltete Untextil – in rot-schwarz kariert am Lehrkörper gekoppelt mit fransigen Gammeljeans und braunen durchgelatschten Birkenstocks ebenso abstoßend wie bei H&M urplötzlich gefragt.
Im übrigen, liebe 68er-Flanell-Lehrer, die ihr uns in den 90ern mit eurer wachsweichen nichtssagenden Kuschelpädagogik in den Wahnsinn und den hemmungslosen Alkoholkonsum getrieben habt: Ich kann eine klammheimliche Freude nicht verhehlen, dass sich euer Kommunarden-Idol Rainer „Pusteblume“ Langhans heute im Dschungelcamp ausgerechnet von drittklassigen Boulevardmarionetten eines kommerziellen Unterschichtensenders gegen Cash demütigen lässt. Spät kommt sie, diese Rache, aber immerhin. Burn Hippie burn. Haha.
Egal, zurück zu H&M.
Eure unsäglichen Sakkos! Zuerst in hellbraun, später dunkelbraun, dann wollartig anthrazit. Es war die Zeit, in der die Handys für das breite Publikum erschwinglich wurden und jeder Anwärter auf ein Spenderhirn mit einem giftgrünen dicken E-Plus-Knochen am Ohr in seinem H&M-Sakko für 49 Mark über dem weißen Rollkragenpullover für 19 Mark vor den Pennern in der U-Bahn den großen Börsen-Affen markieren konnte.
Nein, H&M war hip, H&M war cool und hatte den unschlagbaren Vorteil, dass es dazu noch unschlagbar billig war, dass man selbst auf Stütze zumindest optisch noch einen auf dicke Hose machen konnte.
Heute ist H&M nur noch ein Ramschladen mit Grabbelkisten in jeder Ecke, konzeptionell eingekeilt zwischen Kik (für die Stütze) und Peek & Cloppenburg (für die Hipster), ein Ramschladen zudem, der immer noch stur den Stil der 90er anbietet – grün-braune Grunge-Mode, faltige Hemden und natürlich die altbekannten zeitlosen Sakkos, denen mittlerweile sogar die halbblinde Oma hinter ihrem rostigen Rollator den billigen Stil ansieht.
Das ganze anachronistische Ensemble wird zudem ohne erkennbares Konzept im Raum verteilt, so dass man, wenn man zum Beispiel ein Langarmshirt will, den gesamten Raum absuchen muss, da diese überall und nirgendwo hängen – so wie alles andere, durcheinander quer verteilt und irgendwo reingequetscht. Ramschladen eben.
Und dann war da noch die Penetranz. Keine Einkaufspassage in Wanne-Eickel, Potsdam-Drewitz oder Pforzheim-Buckenberg, das keinen H&M in ihren Hallen vorweisen kann. Überall H&M – eine Pest wie IKEA.
H&M hat es sogar namentlich geschafft, zusammen mit New Yorker, Pimkie und Orsay als personifiziertes Negativbeispiel für die immergleiche, überall flächendeckend synchronisierte und damit stinklangweilige Einkaufscenterwelt herzuhalten.
H&M ist mittlerweile so out, dass man nicht einmal mehr 20 Minuten lang an der Kasse anstehen muss und sogar in den Umkleidekabinen sofort einen Platz bekommt ohne dass einem ein gelangweilter Türsteher einen Platz anweisen muss. Irre, so ein schleichender Niedergang nach einer Dekade, in der H&M sogar massenhaft quietschbunte Hawaii-Hemden, keimige Espandrillos und lackierte Nuttenpumps ans Publikum bringen konnte, weil das als cool und trendsetzend galt.
Wieso werfe ich hier wieder nur mit Häme? Hat doch H&M auch glasklare Vorteile: Die Kleidung läuft nicht ein so wie bei New Yorker, bei denen man grundsätzlich zwei Nummern größer kauft, nur um dann nach 15 Tagen festzustellen, dass man das einzige Kleidungsstück erwischt hat, das gerade zufällig nicht einläuft und man nun die Freude hat, mit diesem Ding auszusehen als habe man versehentlich ein Zelt von Zirkus Krone angezogen.
Nein, ernsthaft, H&M-Kleidung lief bisher noch nie ein und wenn man das Glück hat, zwischen den ganzen faltigen und zerknautschten braun-grünen Jäger-, Hippie- und Omaklamotten ein paar vernünftige Kleidungsstücke – zum Beispiel in schwarz – zu finden, dann kann es auch bei H&M ein durchaus gelungener Einkauf sein.